Hamburg News: China treibt die humanoide Robotik massiv voran, der Eintritt in den Massenmarkt würde zu deutlich sinkenden Preisen führen. Welche Perspektiven eröffnet das?
Steinicke: Etwa die Möglichkeit, die Abwanderung der Industrie in Länder mit niedrigen Lohnkosten rückgängig zu machen. Mit kostengünstigen Robotern in der Fertigung, könnte das gelingen. Das wird allerdings noch einige Jahre oder Jahrzehnte dauern.
Hamburg News: Wesentlich früher dürften wir die Unterstützung durch KI-Agenten erleben. Was können diese Systeme?
Steinicke: KI-Agenten sind eine Art anthropomorphe Repräsentation der KI. Wir sprechen ganz natürlich mit der Technologie, erteilen ihr Aufträge und bedanken uns sogar für geleistete Arbeit. So wird der Computer vom Werkzeug zum Assistenten. Und in Zukunft vielleicht sogar zum Partner, der uns mit seinem immensen Wissensschatz intellektuell herausfordert und inspiriert. Aber noch ist er ein Assistent von der Qualität eines Praktikanten, dem wir sagen, was er tun soll und dessen Ergebnisse wir besser nochmals überprüfen. Würden wir jedoch die bereits vorhandenen Tools miteinander verknüpfen – beispielsweise die Ortserkennung im Handy, Verkehrsdaten, Terminkalender und Kontakte – können KI-Agenten etwa eigenständig erkennen, wenn unser Zeitplan in Gefahr gerät und Folgetermine automatisch verschieben.
Hamburg News: Könnten wir es auch mit einem destruktiven KI-Agenten zu tun bekommen?
Steinicke: Tatsächlich sehen wir schon heute mehrere 10.000 automatische Angriffe täglich auf die kritische Infrastruktur in Deutschland. Dazu kommen Angriffe auf die deutsche Wirtschaft, die viele Unternehmen teuer zu stehen kommen. Doch das größere Problem ist aktuell eher die ‚Verschmutzung des Internets‘ durch KI-Agenten und Chatbots. Sie überfluten das Netz mit (Falsch-)Informationen und es ist nicht zu erkennen, ob Bots oder Menschen Nachrichten teilen. Das bedeutet, wir müssen Informationen stets hinterfragen und nach weiteren Quellen suchen.
Hamburg News: Wie kreativ ist KI inzwischen?
Steinicke: Wir unterscheiden hier zwischen ‚Little C‘ und ‚Big C‘, also kleiner oder außergewöhnlicher Kreativität. KI kann sehr gut reproduzieren und daraus auch in kleinen Schritten Neues schaffen. Aber Big C, wie ein neuer (KI-)Mozart oder Goethe, dürfte in absehbarer Zeit kaum entstehen. Allerdings kann KI Inspirationsprozesse beschleunigen. Ein Kreativer könnte seinen KI-Agenten bitten, ihm 10 Vorschläge zum Thema X zu machen und die bekommt er innerhalb weniger Sekunden. Die werden alle nicht vollkommen neu sein, aber Vorschlag Nr. 7 inspiriert ihn vielleicht zu einem völlig neuen Ansatz. Der KI-Agent hat für ihn quasi die Hausaufgaben gemacht und das rasend schnell.
Hamburg News: Abschließend: In welche Richtung schlägt das Pendel aktuell aus: Rettet KI unsere Welt oder zerstört sie uns?
Steinicke: Ich halte mich für einen Technik-Realisten und bin davon überzeugt, KI kann unsere Welt besser machen. Dazu müssen wir den Zugang zu KI allerdings weltweit ermöglichen. Und vielleicht besteht dieses ‚besser‘ in vielen Fällen ‚nur‘ in einer Zunahme an Bequemlichkeit – und Zeit. Wenn KI beispielsweise Ärzten Routinearbeiten abnimmt, bleibt mehr Zeit, um auf den Patienten als Mensch einzugehen. In gewisser Weise ermöglicht die Technologie es uns damit menschlicher zu sein.
Hamburg News: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Das Interview führte Yvonne Scheller
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