Dennoch bleibt bei Stakeholdern, Nutzer:innen der Technologie und ganz allgemein in Teilen der Bevölkerung immer noch eine Skepsis gegenüber der Blackbox KI. Das Vertrauen in KI zu stärken, war einer der roten Fäden des diesjährigen KI-Summits. Mirko Gontek, Senior Consultant bei Netlight, einem Beratungsunternehmen mit Fokus auf Digitalisierung, fordert etwa die Demystifizierung von KI, was gar nicht so schwer sei: „Viele KI-Projekte sind keine Moonshots, sondern führen zu einfachen, aber lukrativen Verbesserungen in Unternehmen.“ Und da inzwischen immer mehr Projekte in die Umsetzung kommen, wachse allein durch Erfahrung das Vertrauen. Das gilt natürlich nur für erfolgreiche KI-Projekte. Im umfassenden Testen und einer klugen Regulierung sieht Robert Kilian, CEO des KI-Zertifizierungsunternehmens Certifai, zwei entscheidende Säulen, um Vertrauen aufzubauen. Wobei Kilian für eine risikobasierte und innovationsfreundliche Regulierung plädiert: „Es geht nicht um pauschale Verbote, sondern um eine stufenweise Anpassung an die von der Technologie ausgehenden Risiken.“ Und er spricht sich für KI-Reallabore aus: „Das ermöglicht eine kontrollierte und zugleich praxisnahe Möglichkeit, um Innovationen zu testen und potenzielle Risiken zu minimieren.“
KI-Summit 2024: Vertrauen in künstliche Intelligenz lohnt sich
Wie steht es mit dem Siegeszug von künstlicher Intelligenz (KI)? Ist der Peak erreicht, platzt gar die Blase? „Nein“, sagt Alois Krtil. Warum das nicht der Fall ist, erklärt der Gründer und CEO des Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) beim 5. KI-Summit am 2 September, organisiert von der Handelskammer Hamburg, ARIC und dem Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg. Seit dem Markteintritt von ChatGPT im November 2022 hat die Technologie einen regelrechten Hype erlebt. Heute liefert generative KI auf Knopfdruck Texte, Bilder und ermöglicht Anwendungen, von denen die Teilnehmer des ersten KI-Summits vor fünf Jahren nicht einmal zu träumen wagten.
Als Anfang Juli jedoch Tech-Aktien, wie die von Nvidia, dem größten Hersteller von Chips für KI-Anwendungen, an Wert einbüßten, sahen einige Analysten das Ende des KI-Boom gekommen. „Ich habe mal nachgerechnet, Nvidia ist seit der ChatGPT-Rallye um rund 2.000 Prozent gestiegen“, sagt Krtil. Trotzdem treibt Wallstreet-Analysten die Frage um: Lohnen sich die immensen Investitionen in KI? „Dass sich noch nicht alle Investitionen so schnell amortisiert haben, ist bei der Implementierung von Technologieinnovationen ganz normal“, betont Krtil und bleibt dabei: „Die Blase platzt nicht.“
Vertrauen in KI stärken
Initiative HHAI-Score gestartet
Vertrauen wächst durch Verstehen. Diesen Ansatz verfolgt die neue Initiative HHAI-Score, die Professor Tilo Böhmann, Vizepräsident Forschung der Universität Hamburg und Vorstandsmitglied ThIS! (The Interface Society), beim KI-Summit vorstellte und die am 2. September an den Start gegangen ist. „Unser Ziel ist es, 100.000 Hamburger:innen die nötige Zukunftskompetenz für den Umgang mit KI zu vermitteln.“ Das soll in vier Stufen geschehen: Lernen, Ausprobieren, Anwenden und Reflektieren. „KI wird zum täglichen Begleiter von uns allen“, ist der Professor überzeugt. Das gelte für die Wirtschaft ebenso wie für die Wissensarbeit.
Die ‚Vertrauensarbeit‘ lohnt sich. Kathrin Haug, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, verweist auf die Studie „Der digitale Faktor“, die IW Consult, eine Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft, im Auftrag von Google erstellt hat. „Demnach könnte generative KI in Zukunft 330 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung in Deutschland beitragen.“ Also 330 Milliarden Gründe, um sich für diese Zukunft wettbewerbsfähig aufzustellen. Alois Krtil stellt als Ausblick auf den nächsten KI-Summit 3 Thesen auf, wie das gelingen kann.
These 1: Industrietauglichkeit von KI ist erreicht
„Nach einer Phase großer Euphorie sind wir nun im Stadium der Realisierung angekommen. Die Aufgabe besteht jetzt darin, die verschiedenen KI-Anwendungen mit den bestehenden Prozessen zu synchronisieren.“ Eine These, die von den Teilnehmern allgemein geteilt wurde. Vor allem da inzwischen eine so große Zahl einsatzfähiger KI-Werkzeuge entstanden sei, dass es für Wirtschaft und Industrie keine Entschuldigung mehr gäbe, KI nicht zu nutzen. Doch der KI-Summit hat auch gezeigt: Es braucht noch Zeit. Befragt nach dem aktuellen „KI-Reifegrad“ in der deutschen Wirtschaft, erklärte Professor Sebastian Gerling, Chief Digital Officer der Universität Hamburg: „Wir beobachten verschiedene Stadien. In vielen Großunternehmen ist KI angekommen, aber der Hauptteil potenzieller Nutzer ist noch beim Verstehen lernen und Datenaufbau.“
These 2: Responsible AI wird bleiben
Für das notwendige Vertrauen in KI ist der verantwortungsvolle Umgang mit der Technologie ein entscheidender Faktor. Gefragt ist „Responsible AI“, betont Krtil. „Dieses Thema wird uns weiterhin begleiten.“ Inzwischen verfolge nicht nur Europa diese Absicht – am 1. August ist der AI Act, das Gesetz der Europäischen Union zur Regulierung von künstlicher Intelligenz, in Kraft getreten – auch in Asien und den USA werden Regeln entwickelt, um Ansprüche wie Sicherheit und Ethik im KI-Umfeld zu realisieren. „Zudem entwickeln immer mehr Unternehmen eigene Codes of Conduct, die von Anfang an bei der Implementierung von KI-Anwendungen mitgedacht werden“, so Krtil.
These 3: Spezialisierung und Dezentralisierung
Bringt der KI-Hype eine weitere ‚Killer-Applikation‘ in einem speziellen Feld hervor? „Das hat sie bereits“, ist Krtil überzeugt und nennt als Beispiel das KI-Tool Alpha Fold, das 3D-Modelle von Proteinstrukturen berechnen kann. Die neueste Version könne nun die Interaktionen der Proteine mit anderen Biomolekülen in menschlichen Zellen mit großer Genauigkeit vorhersagen. „Das ist eine Revolution in der Medikamentenentwicklung und darüber hinaus in den Naturwissenschaften“, betont der KI-Experte. In der Hardware-Entwicklung wiederum sei ein wesentlicher Schritt erreicht, um den wachsenden Bedarf an GPU (Graphics Processing Units, unverzichtbar für KI-Anwendungen), den Hersteller Nvidia kaum decken kann, etwas entgegenzusetzen: „AI on Chips“ laute das Zauberwort, das zu einer Dezentralisierung auf der Herstellerseite führen könne. Denn immer mehr Unternehmen und Startups bringen entsprechende KI-Chips auf den Markt. „Der gehört damit nicht mehr allein dem Platzhirsch Nvidia. Und das bedeutet: Schluss mit ‚The winner takes it all‘“, betont Kritl.
ys/sb