Die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Hamburgs durch den Einsatz von KI ist auch im aktuellen Koalitionsvertrag festgeschrieben. „Unser Ziel ist es, Hamburg zu einem führenden Standort für KI zu entwickeln, der Innovationen vorantreibt und gleichzeitig die gesellschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt.“ Auch die EU arbeitet an der technologischen Wettbewerbsfähigkeit – im April hat die EU-Kommission den AI Continent Action Plan vorgestellt, mit dem Europa bei künstlicher Intelligenz zu den aktuell führenden Nationen USA und China aufschließen will. Nach Meinung des Branchenverbands Bitkom verschiebt die EU damit den Fokus von KI-Regulierung auf KI-Förderung – eine Balance, um die quasi die gesamte Branche ringt.
KI lohnt sich! „Eine McKinsey-Studie geht von einem jährlichen Produktivitätszuwachs von bis zu 4,4 Billionen US-Dollar durch Generative KI (Gen AI) aus. Das ist mehr als das Bruttosozialprodukt von Japan“, erklärt Kathrin Haug, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, zum Auftakt des KI Summit 2025. Organisiert von Handelskammer, Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) und dem Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg wurden am 16. September Aspekte wie technologische Souveränität, Pro und Contra von Regulierung, ein menschenzentrierter Ansatz – also die Beachtung ethischer Prinzipien in der Entwicklungsphase – oder Wettbewerbsfähigkeit thematisiert.
Fokus Wettbewerbsfähigkeit

MDR und AI-Act
Doreen Soeder, Head of Compliance bei der Hamburger Tiplu GmbH, skizziert den Zertifizierungsprozess für Medizinprodukte „Medical Device Regulation“ (MDR), den das Unternehmen für sein Produkt Maia durchlaufen hat. Das KI-Unterstützungstool für Ärzt:innen in Kliniken wurde im Januar zugelassen. „Wir haben den MDR-Prozess in 15 Monaten durchlaufen, das ist gar nicht schlecht“, betont Soeder. Wie und ob die Zertifizierung durch den AI-Act gelingt, kann sie noch nicht absehen. Sicher ist allerdings, dass die Medizinsoftware als Hochrisiko-Produkt eingestuft wird und damit höchsten Ansprüchen genügen muss. „Das ist auch in Ordnung“, findet Soeder. „Wer einen Herzschrittmacher eingesetzt bekommt, will ja auch sichergehen, dass er höchsten Ansprüchen genügt.“ Der AI-Act fordert etwa die Nachvollziehbarkeit, wie ein KI-System zu Ergebnissen kommt – was wiederum zu mehr Vertrauen in KI führen soll. Ein Ziel, das Soeder durchaus unterstützt, aber sie sagt auch: „Wir brauchen Regulierung. Doch Überregulierung kann den Innovationsprozess lähmen.“ Sie plädiert dafür, regulatorische Anforderungen gleich beim Entwicklungsprozess mitzudenken und das Thema in der Unternehmenskultur zu implementieren.

Europäische Meilensteine
Ganz sicher nicht gelähmt ist die europäische KI-Entwicklung, findet ARIC-Gründer Alois Krtil. Verschiedene Meilensteine belegten die KI-Relevanz Europas. „Etwa die Übernahme des Düsseldorfer Startups Cognigy durch das US-Unternehmen Nice für stolze 955 Millionen US-Dollar.“ Als Beispiel für mehr Unabhängigkeit nennt Krtil die Schweizer Entwicklung eines eigenen Large Language Models (LLM): „Apertus“ (lateinisch für offen) soll die digitale Souveränität der Alpenregion stärken. „Das Modell steht für einen Gemeinwohlansatz in der KI-Entwicklung.“ So seien Aspekte wie Mehrsprachigkeit, Transparenz und Compliance von Anfang an in den Designprozess eingeflossen, was auch dem Anspruch einer menschenzentrierten und verantwortungsbewussten KI entspricht. Und Krtil hebt die 1,3 Milliarden-Beteiligung des niederländischen Chipausrüsters ASML am Pariser Unicorn Mistral AI hervor. Durch die strategische Partnerschaft wird der französische LLM-Entwickler zu einem der wertvollsten Startups Europas. Einen Teil des Geldes will Mistral AI in den Bau eines eigenen Rechenzentrums investieren. Schließlich erfordert das Training großer Sprachmodelle enorme Rechenkapazitäten.

Smarte Infrastruktur neuer Rechenzentren
Auch in Hamburg sind neue Rechenzentren geplant, so Krtil. „Wir brauchen eine smarte Infrastruktur von Rechenzentren verschiedener Größen. Keine Gigantomanie, wie sie Zuckerberg verbreitet, wenn er von einem Rechenzentrum in der Größe von Manhattan spricht.“ Vielmehr stellt sich der Experte mittelgroße Anlangen mit einer Leistung von etwa 5 MW innerhalb Hamburgs vor, ergänzt von einem Netz größerer Zentren (20 bis 70 MW) in der Metropolregion Hamburg. „Und wir fangen ja auch nicht bei Null an. Fraunhofer und DESY haben bereits in entsprechende Kapazitäten investiert.“ Allerdings bedeuten wachsende Kapazitäten auch einen steigenden Energieverbrauch und einen größeren CO2-Fußabdruck – theoretisch. Tatsächlich bemühen sich die Betreiber um mehr Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit, hat der Branchenverband Bitkom beobachtet: „Die Treibhausgasemissionen deutscher Rechenzentren sind in den Jahren 2014 bis 2024 trotz des starken Zubaus von Kapazitäten tendenziell leicht gesunken.“ Was nun ebenfalls noch im Rahmen bleiben müsse, seien die Strompreise, erklärt Krtil: „Kompetitive Energiepreise müssen bei dem Aufbau neuer Rechenzentren mitgedacht werden.“ Auch das trage dazu bei, Hamburg zu einem führenden KI-Standort zu machen.
ys/sb
Quellen und weitere Informationen
Ähnliche Artikel

Macht KI uns menschlicher?

So gelingt die KI-Transformation: Erfolgsbeispiele aus Hamburg

KI-Summit 2024: Vertrauen in künstliche Intelligenz lohnt sich
