Im März ging The Rock! Radio Helgoland wieder online. „Der wohl erste Radiosender weltweit, der ausschließlich von künstlicher Intelligenz gesteuert und moderiert wird“, heißt es auf der Website. Auch eine Liste der Moderator:innen findet sich dort, komplett mit kurzer Vita und Foto. Doch gleich darunter steht: „Es gibt keine Moderatoren, es gibt nur eine KI. Die Beschreibungen stammen – ja – auch von der KI. So stellt sie sich Moderatoren eines kleinen Inselradios vor.“ Passende Profilbilder wurden mithilfe der Website Random Face Generator erstellt. Für das Programm selbst gibt Laufenberg das Themenfeld vor und kombiniert es mit einer Anzahl von Keywords. „Also etwa für die Sendung ‚Meer geht immer' die Keywords Insel, Wattenmeer und Helgoland, aber auch Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die KI durchsucht daraufhin die gängigen Nachrichtenagenturen und wählt die vier Nachrichten mit der höchsten Priorität aus“, erklärt Laufenberg.
„Der Hamburger Flughafen läuft nach dem Ende der Geiselnahme wieder im Normalbetrieb“, meldet der Moderator von The Rock! Radio Helgoland, einem reinen 24/7-Webradio. Nur ist es kein realer Moderator, der on air die Nachrichten spricht. Es ist eine künstliche Intelligenz (KI), basierend auf ChatGPT und als Radioprogramm weiterentwickelt von Thore Laufenberg. Der hatte 2017 zusammen mit mehreren Mitstreitern den Lokalsender auf Helgoland ins Leben gerufen. Doch Corona machte dem Radioprogramm ein Ende. Es gab Differenzen über die inhaltliche Einordnung und den Umgang mit der Pandemie. „Ich hatte mit dem Thema Radio schon abgeschlossen, doch dann kam ChatGPT“, erzählt Laufenberg, der schon mit zwölf Jahren sein erstes Software-Programm schrieb und heute als freiberuflicher IT-Architekt tätig ist. „Ich habe mir überlegt, dass ChatGPT die Sendung genauso vorbereiten können müsste, wie ich es früher getan habe: Das Thema einer Sendung festlegen und passende Nachrichten und Musik dazu auswählen. Und es hat tatsächlich geklappt.“
KI-generierte Moderator:innen-Vita
Stimmen von echten Moderator:innen geklont
Anschließend kommt ein weiteres Programm zum Einsatz, das die Umformulierung in klassische Radiosprache übernimmt und die Meldung beispielsweise um die Ankündigung des nächsten Musiktitels ergänzt. Und schließlich übernimmt ein Stimmengenerator. „Die sind inzwischen so gut, dass sie von echten Menschen kaum noch zu unterscheiden sind", freut sich Laufenberg. „Dazu haben wir die Stimmen von echten Moderator:innen geklont. Auch die von unserem früheren Wettermann Molli, der leider inzwischen verstorben ist. Seine Familie hat sich das so gewünscht.“ Mit der Anpassung von ChatGPT auf The Rock! Radio Helgoland ist Laufenbergs Arbeit weitgehend getan. Die KI übernimmt das Tagesgeschäft und sendet völlig autonom, wobei der 54-Jährige verantwortlich im Sinne des Presserechts bleibt.
Auch künstliche Intelligenz kann sich irren
Doch wie fehleranfällig ist die KI? „Da die Meldungen von Nachrichten-Tickern kommen, sind die Fakten gesichert und das Kürzen und Umformulieren funktioniert sehr gut“, so Laufenberg. Nur einmal habe sich die KI geirrt. Es ging um die mögliche Kanzlerkandidatur von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, den laut einer Forsa-Umfrage nur wenige potenzielle Wähler:innen kennen. „Bei der Kürzung der Meldung kam am Ende statt ‚Viele Deutsche kennen Wüst nicht‘ der Satz ‚Viele Deutsche waren noch nie in der Wüste‘ heraus.“ Ein Fehler, der für viel Heiterkeit gesorgt habe.
Ohne KI kein Lokalsender
Bei der Reaktion auf das KI-Radio gibt es zwei Fraktionen, erzählt Laufenberg. Diejenigen, die sich echte Life-Reportagen vom Hummerfang wünschen und die Technik-Enthusiasten, die den KI-Einsatz mit großem Interesse verfolgen. „Ich teile beide Meinungen. Doch für einen klassischen Radiosender gibt es zu wenig Mitstreiter:innen auf der Insel. Es gibt also aktuell für Helgoland entweder die automatisierte Variante oder gar keine.“ Wobei Laufenberg gerade eine Kombination aus beiden Welten plant. Zusammen mit Radio-Urgestein Frank Laufenberg, seinem Vater, plant er eine neue Sendung. „Dabei kommt ein guter alter Plattenspieler zum Einsatz, und mein Vater kommentiert die Musik, die er spielt. Alles ganz alte Schule.“
Gibt es bald personalisiertes Radio?
Und wie sieht die neue Schule aus? Ist personalisiertes Radio der nächste Schritt? „Auf jeden Fall, ich arbeite bereits daran“, bestätigt Laufenberg. Die individualisierte Ausspielung von Web-Radioprogrammen ist die Zukunft, ist der Vater von fünf Kindern überzeugt. „Also ein Programm, das auf den persönlichen Musikgeschmack, die Interessen und Aktivitäten der Hörer:innen ausgerichtet ist und etwa Verkehrsnachrichten genau für die Strecke ausspielt, auf der sie gerade unterwegs sind.“ Laufenberg ist begeistert von den technischen Möglichkeiten, die KI bietet. Allerdings sieht er auch die Gefahr einer zu einseitigen Information. „Sich mehr und mehr in der eigenen Blase zu bewegen, ist der Fluch unserer Zeit. Und es kann zu einem gesellschaftlichen Problem werden, wenn etwa KI genutzt wird, um ganz gezielt Fake News auszuspielen.“ Dem könnte eine KI entgegenwirken, die so programmiert wurde, dass Themen stets aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden. „Eine möglichst umfassende Information liegt auch in KI-Zeiten in unserer Verantwortung.“
ys/mm
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