Gastgewerbe

Fachkräftemangel: So kann Digitalisierung das Gastgewerbe entlasten

7. November 2023
In seiner Lieblingsplatz-Hotelgruppe experimentiert Niels Battenfeld mit Digitalisierung und KI. Zudem denkt der Gründer über ein Franchise-Konzept nach

Bis zur Pandemie 2019 arbeiteten in Deutschland noch rund 2,1 Millionen Menschen im Gastgewerbe. Dann sanken die Beschäftigtenzahlen auf den historischen Tiefstand von 1,8 Millionen und bis heute fehlen der Branche noch immer etwa 100.000 Beschäftigte im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Der Begriff ‚Fachkräftemangel‘ sei da kaum der passende Begriff, um die desolate Personalsituation zu beschreiben, findet Niels Battenfeld. Der Gründer der Lieblingsplatz-Hotelgruppe setzt deshalb auf Digitalisierung und experimentiert in seinem neuesten Lieblingsplatz, dem Surf Rescue Club am Grömitzer Strand, mit KI. So verzichtet er auf eine Rezeption, in der offenen Küche schwingt ein Roboter den Kochlöffel und den Strandkiosk 100 Meter weiter hat Battenfeld als digitale Pizzeria konzipiert: Hier stehen sechs verschiedene Pizzen zur Wahl, die ofenfrisch aus einem Pizzaautomaten kommen.

Pizzaautomat und Kochroboter

Aber kann eine Pizza aus dem Automaten wirklich schmecken? „Auf jeden Fall“, erklärt Battenfeld mit Nachdruck. „Die entscheidende Komponente ist die Rohware und die beziehen wir von Gia, einer familiengeführten Manufaktur aus Berlin. Die Zutaten werden automatisch entnommen, in zwei Pizzaöfen auf Temperatur gebracht und vier Minuten später kann die knusprige Pizza entnommen werden.“ Der Testbetrieb sei sehr gut angenommen worden, freut sich der Pionier. Dass er mit seinen Automatisierungsansätzen umstrittenes (Gastro)-Neuland betritt, ist ihm klar. „Wir sind mit die ersten, die sich da vorwagen und erfahren neben Zustimmung auch anfängliche Kritik und ein Stück weit Zukunftsängste.“ Doch Battenfeld sieht in der automatisierten Küche einen Lösungsansatz, um fehlende Mitarbeiter:innen zu kompensieren. „Dabei ersetzt der Roboter nicht den Menschen, sondern er unterstützt ihn“, betont er. Und es funktioniert, fügt er hinzu. „Gerade junge und junggebliebene Menschen akzeptieren Innovationen in der Küche mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die schauen sich das System einmal an und arbeiten schon im nächsten Moment mit der größten Selbstverständlichkeit damit.“

Digitale Pizzeria

Ansätze gegen Energie- und Lebensmittelverschwendung

Aktuell wechselt Battenfeld gerade den Hersteller. „Unser neuer Kochroboter hat ein größeres Warensortiment und kann 20 Stunden am Stück produzieren. Das ermöglicht es uns, schon nachts frisch für den Tag vorzukochen. Und mit dem neuen Partner können wir drei Standbeine aufbauen: Das eigene Restaurant bekochen, als Produzent für das Umfeld agieren und einen Lieferdienst bestücken.“ Je mehr Standbeine, desto sicherer das wirtschaftliche Konzept – vor dem Hintergrund steigender Waren-, Energie- und Personalkosten ein zunehmend wichtiger Aspekt. 2023 stieg der Mindestlohn pro Stunde von 10,45 auf 12 Euro. Dazu kommt die für 2024 erwartete Rückkehr zu 19 Prozent Umsatzsteuer auf Speisen. An die Gäste ließen sich die gestiegenen Kosten nur bedingt weitergeben, also dreht Battenfeld an der Kostenschraube: Leere Zimmer müssen nicht voll geheizt, belegte nicht täglich gereinigt werden und üppig bestückte Frühstücksbuffets werden durch ‚Kühlschränke im Wohnzimmer‘ ersetzt. „Das ist ein weiterer Testballon, mit dem wir in Grömitz experimentieren. In den anderen Hotels gibt es noch das klassische Buffet, aber im Surf Rescue Club verfolgen wir einen Bakery-Shop-Gedanken.“ Dabei bedient sich der Gast ganz nach Bedarf selbst und zahlt nach dem ‚Scan and Go‘-Prinzip.

Kochroboter im Surf Rescue Club

Mehr Zeit für Gäste dank Digitalisierung

Das spart nicht nur Personal, sondern verhindert auch Lebensmittelverschwendung. Immerhin werden in Deutschland zwischen 12 und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr entsorgt und Hotelbuffets haben einen deutlichen Anteil daran. Wenn sich die Testphase weiterhin so gut entwickelt, will Battenfeld sein Lieblingsplatz-Konzept als Franchise-System ausrollen. „Wir denken gerade über ein Lizenzmodell nach, um ganz vielen tollen Lieblingsplatz-Hotels den Weg zu ebnen. Mit unseren Musterbetrieben als Blaupause können wir uns selbständige Partner dazu holen, die ‚Lieblingsplatz-beflaggt‘ aktiv werden.“ Der Abschied von einer klassischen Rezeption habe sich etwa bewährt, erzählt der Gastronomie-Enthusiast. „90 Prozent unserer Gäste im Surf Rescue Club buchen online und erhalten auf diese Weise auch den Zugangscode für ihr Zimmer.“ Die von ‚Verwaltungsaufgaben‘ entlasteten Mitarbeiter:innen könnten nun das tun, weswegen sie sich für ihren Beruf entschieden hätten: gute Gastgeber:innen sein. „Statt stereotyper Fragen, wie ‚Haben Sie reserviert?‘ und ‚Wie viele Schlüssel hätten Sie denn gern?‘, kann es nun um die wirklichen Bedürfnisse der Gäste gehen: Tipps zur Umgebung oder vielleicht darum, eine E-Bike-Tour zu planen.“

Surf Rescue Club

Das Beste aus drei Welten

Ein möglichst individueller Ansatz ist der Kern von Battenfelds Hotelphilosophie. „Ich möchte digitalisieren was geht und dabei ein leidenschaftlicher Gastgeber sein. Dazu vereinen wir in den Lieblingsplatz-Hotels das Beste aus drei Welten: Wir kombinieren die Verlässlichkeit und den Service von Hotels mit der Community von Hostels und dem persönlichen Touch von Airbnb, bei dem lokale Gastgeber:innen Reisende mit Insidertipps versorgen.“
ys/sb

Quellen und weitere Informationen

Über Niels Battenfeld

Den Grundstein für seine Marke hat Niels Battenfeld (47) im Jahr 2013 mit der Eröffnung des „Lieblingsplatz, mein Strandhotel“ in Sankt Peter-Ording gelegt. Aus der klassischen Hotellerie kommend – der gelernte Hotelfachmann war etwa bei Marriott und A-Rosa tätig – umfasst die Lieblingsplatz-Hotelgruppe inzwischen 12 Standorte in Deutschland und Österreich. Zuletzt wurde im August 2023 der „Surf Rescue Club“ im Dünenpark Grömitz, in der Metropolregion Hamburg, eröffnet.

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