„Diese Konferenz macht da weiter, wo der Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen in New York aufgehört hat“, erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Eröffnungsrede. Dort hatte sich die Staatengemeinschaft Ende September, unter Federführung von Deutschland und Namibia, auf einen Zukunftspakt verständigt, um die 2015 beschlossenen Nachhaltigkeitsziele effektiver zu verfolgen. Ziel war ursprünglich eine Umsetzung bis 2030, doch lediglich 15 Prozent der insgesamt 140 Einzelmaßnahmen liegen aktuell im Zeitplan. Scholz spricht deshalb von einer „Aufholjagd“ und betont: „Regierungen allein können das Ruder nicht herumreißen.“ Private Akteur:innen und Investor:innen seien gefragt. „Ohne das Know-how und die Investitionen der Privatwirtschaft sind die Sustainable Development Goals nicht zu erreichen.“ Investitionen aus der Privatwirtschaft jedoch brauchen Sicherheit. Die Weltbank hat deshalb das Private Sector Investment Lab gegründet. „Im Fokus stehen Aspekte wie Regulierungssicherheit, der verstärkte Einsatz von Garantien oder die Minderung von Wechselkursrisiken, um mehr privates Kapital zu mobilisieren“, erklärt Weltbankpräsident Ajay Banga. Die Entwicklung einer fairen, internationalen Finanzarchitektur ist ein wiederkehrendes Thema bei den über 60 HSC-Sessions, ebenso wie die Überzeugung, dass Wachstum und Nachhaltigkeit zusammengedacht werden müssen – auch um die benötigte Finanzierung zu sichern.
Englisch und Französisch sind die vorherrschenden Sprachen bei der ersten Hamburg Sustainability Conference (HSC). Aber auch Chinesisch, Indisch oder afrikanische Sprachen sind während der zweitägigen Konferenz zu hören, die am 7. und 8. Oktober rund 1.600 Teilnehmende aus mehr als 100 Ländern anzog. Darunter Pralhad Venkatesh Joshi, Minister für neue und erneuerbare Energien: „Ich bin eigens für diese Konferenz aus Indien angereist. Warum? Weil es entscheidend ist, dass wir gemeinsam an einer nachhaltigen Zukunft für uns alle arbeiten.“ Genau das ist das Ziel des neuen Formats: Gut 8 Milliarden Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen und die natürlichen Ressourcen zu sichern. Hierfür kommen Akteur:innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Hamburger Rathaus und der Handelskammer zusammen, um die 17 Sustainable Development Goals (SDG) durch neue Allianzen für konkrete Initiativen voranzutreiben.
Hamburg Sustainability Conference – Aufholjagd anstoßen
Erfolgreiche Lösungsansätze teilen
Eine Pionierrolle bei der Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele können Städte einnehmen. „Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in urbanen Räumen“, erklärt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher. „Sie verbrauchen 80 Prozent der weltweiten Energie, produzieren 70 Prozent der Treibhausgasemissionen und mehr als die Hälfte der Abfälle.“ Aber Städte seien auch Zentren des gesellschaftlichen und technologischen Fortschritts und teilen erfolgreiche Lösungsansätze. Hamburg stehe etwa mit Helsinki und Nantes in Kontakt, um sich über intelligente Mobilitätslösungen auszutauschen und sei mit London und Kopenhagen im Bereich nachhaltiger Strategien für die Baubranche im Gespräch. Tabu Shaibu, Acting City Director in Hamburgs Partnerstadt Dar es Salaam, eine der Megacities in Afrika, wiederum präsentiert bei der HSC einen erfolgreichen „Zero-Waste“-Ansatz, der wertvolle Ressourcen schont und neue grüne Arbeitsplätze geschaffen hat.
Dekarbonisierung des maritimen Sektors
Gastgeber Hamburg kommt als Deutschlands größter Seehafen zudem eine besondere Bedeutung zu: Zwei Drittel der Güter, die weltweit gehandelt werden, transportiert die Seeschifffahrt. Hamburgs Hafenakteur:innen sind somit an der Dekarbonisierung des maritimen Sektors sehr interessiert, der Hafenentwicklungsplan beinhaltet das Ziel der Klimaneutralität des Hafens bis 2040. „Diese Transformation ist eine große Herausforderung. Doch sie führt bereits jetzt zu mehr Sicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit“, erklärt Jens Meier, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburg Port Authority (HPA).
Die International Maritime Organisation hat sich eine klimaneutrale Schifffahrt bis 2050 zum Ziel gesetzt – und das aus gutem Grund: Die globale Schifffahrtsindustrie ist aktuell für über 80 Prozent der CO2-Emissionen des internationalen Handels und fast 3 Prozent der gesamten globalen Emissionen verantwortlich. Alternativen Kraftstoffen wird auf dem Weg zur Klimaneutralität eine zentrale Rolle zugeschrieben – nur auf welchen Kraftstoff sollen Reedereien setzen, fragt Mirja Nibbe, Geschäftsführerin der Container-Reederei CMA/CGM: „Weder Methanol noch LNG sind bisher in ausreichender Menge vorhanden.“ Und Bud Darr, Executive Vice President, Maritime Policy and Government Affairs bei der MSC Group, ergänzt: „Wir investieren in den Bau von Schiffen, die mit alternativen Kraftstoffen betrieben werden sollen, die es noch gar nicht gibt.“
Fuels, Fuels, Fuels
Auch in der Luftfahrt steht bei der Diskussion um eine klimaneutrale Zukunft der Antrieb bzw. Treibstoff der Zukunft im Zentrum. Fliegen wir künftig elektrisch, mit Wasserstoff oder Sustainable Aviation Fuels (SAF), also Flugkraftstoffen, die aus nicht-fossilen Rohstoffen nachhaltig hergestellt werden? „Bis 2035 will Airbus das erste wasserstoffbetriebene Flugzeug in die Luft bringen“, verspricht Airbus-Forschungsleiterin Nicole Dreyer-Langlet. Voraussetzung ist jedoch eine ausreichende Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff sowie eine tragfähige Infrastruktur, an der aktuell weltweit gearbeitet wird. Auch in die Produktion von SAF muss noch viel Arbeit gesteckt werden, weiß DHL-Finanzchefin Melanie Kreis. „Wir sind sehr am Einsatz des synthetischen Kraftstoffs interessiert und haben im vergangenen Jahr etwa 14 Prozent der verfügbaren SAF aufgekauft. Das klingt nach viel, entspricht jedoch nur 3 Prozent unseres Kraftstoffbedarfs.“ Die SAF-Produktion nun im industriellen Maßstab voranzutreiben, müsse ein gemeinsames Ziel sein. Weitere Ansätze für eine umweltfreundliche Luftfahrt sehen die Expert:innen in einer technologisch getriebenen Effizienzsteigerung. Etwa durch künstliche Intelligenz (KI).
Responsible AI entscheidend
Das Potenzial künstlicher Intelligenz für eine nachhaltigere Zukunft weit über den Luftfahrtsektor hinaus, ist unbestritten. „Doch damit die Technologie zu einem Enabler werden kann, müssen wir den Zugang für jeden sicherstellen“, betont Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP). Doch dieser Zugang ist aktuell keineswegs gegeben, so Hindou Oumarou Ibrahim, Bürgerrechtlerin aus dem Tschad. „KI braucht Strom. In meinem Land gibt es nicht einmal ausreichend Strom für Licht.“ Und auch Ghanas Präsident Addo Dankwa Akufo-Addo argumentiert: „KI muss allen zu Gute kommen, sonst wird die Technologie die existierende Ungleichheit auf der Welt zementieren.“ Bei der Entwicklung weiterer KI-Tools müsse Ethik, Nachhaltigkeit und gleichberechtigte Teilhabe von Anfang an mitgedacht werden. „Das erfordert eine gemeinsame, weltweite Anstrengung. Doch es lohnt sich. Die richtigen Entscheidungen heute werden uns in eine strahlende Zukunft führen.“
Bilanz der ersten Hamburg Sustainability Conference
Genau diesen optimistischen Geist lobt auch Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, in seinem abschließenden Statement. Die Bilanz der ersten HSC geht jedoch weit über Optimismus hinaus. Mehr als 15 Vereinbarungen zwischen Regierungen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wurden unterzeichnet. „Es ist uns in Hamburg gelungen, neue Allianzen für konkrete Lösungen zusammenzubringen: Für eine Schifffahrt, die kein CO2 mehr ausstößt, für Batterien, die fair und umweltschonend hergestellt werden, für mehr private Investitionen in Nachhaltigkeit oder für eine sozial gestaltete Transformation, um nur einige Beispiele zu nennen“, resümiert Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Und das sind nur die offiziellen Vereinbarungen. Weit mehr Kooperationen konnten in zahlreichen Gesprächen angestoßen werden, die sich im Zuge der vielen Panels und Zukunftstalks ergaben. Tatsächlich ist der Gesprächsbedarf groß. Als Moderator Alexander Thamm als Auflockerungsmaßnahme in der Mitte einer Session die Teilnehmer:innen aufforderte, sich zwei Minuten lang mit seinem Sitznachbarn zu unterhalten, war Autorität gefragt, um die spontan entstandenen „bilateralen Gespräche“ wieder zu bremsen. So ist es gut, dass mit dem 2. bis 3. Juni 2025 der Termin für die 2. Hamburg Sustainability Conference bereits feststeht.
ys/sb
Quellen und weitere Informationen
Hamburg Sustainability Conference
Die erste Hamburg Sustainability Conference (HSC) am 7. und 8. Oktober 2024 wurde initiiert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der Stadt Hamburg und der Michael Otto Stiftung. Die globale Konferenz brachte in der Handelskammer Hamburg und im Rathaus internationale Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zu einem multilateralen Austausch zusammen, insgesamt kamen rund 1.600 Teilnehmende aus mehr als 100 Ländern. Die HSC ist als jährliches Format geplant, nächster Termin: 2. bis 3. Juni 2025.