„In einer Kreislaufstadt würde, abgesehen von klassischen Verbrauchsgütern wie Lebensmitteln, nichts hinzukommen. Alles Neue würde aus dem Bestehenden geschaffen.“ Als Beispiel nennt Kuchta den Bau von Gebäuden, bei denen etwa der Sharing-Ansatz von Anfang an mitgedacht wird. „Im Laufe der letzten Jahre ist die Wohnfläche pro Person von 25 auf rund 50 qm gestiegen. Das ließe sich zurückdrehen, indem wir moderne Wohnkonzepte entwickeln, die auf Gemeinschaftsräume setzen.“ Erste Ansätze dazu gibt es in Hamburg bereits. Das Projekt „The Beehive“ in der Hafencity ist auf gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten ausgerichtet. Das Gebäude ist so konzipiert, dass Begegnungen initiiert werden – etwa durch eine große Küche zum gemeinsamen Essen, ein Musikzimmer oder eine Bibliothek sowie ein hauseigenes Co-Working Space. Das Konzept wurde mit dem Mipim Award in der Kategorie „Best Residential Project“ ausgezeichnet.
„Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in urbanen Räumen. Sie verbrauchen 80 Prozent der weltweiten Energie, sind für 70 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich und produzieren mehr als die Hälfte der Abfälle“, erklärte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher auf der diesjährigen Hamburg Sustainability Conference. Doch das muss nicht sein. In 30 Jahren könnten wir urbane Räume in Circular Cities umgestaltet haben, in denen Abfälle wertvolle Ressourcen sind und Treibhausgasemissionen weitgehend der Vergangenheit angehören. Allerdings müssten dazu eine Reihe verschiedener Ansätze zusammenkommen und ineinandergreifen – von Wohnungsbau und Energieerzeugung über Mobilität bis zu kreislauffähigen Produkten – um ein quasi ideales System zu schaffen, weiß Professorin Kerstin Kuchta, die an der Technischen Universität Hamburg das Institut für Circular Resource Engineering und Management (CREM) leitet.
Neues aus dem Bestehenden schaffen

Circular Cities: Modular und flexibel
Zudem werden in Circular Cities die Gebäude flexibel konstruiert, weiß die Diplom-Ingenieurin. „Es gibt eine tragende Struktur, quasi das Skelett des Gebäudes, doch darüber hinaus wird modular gebaut. Je nach Lebensphase der Bewohner können Wohnungen, oder auch Büros, erweitert oder verkleinert werden.“ Hat das Gebäude selbst das Ende seiner Nutzungsphase erreicht – idealerweise erst nach rund 80 Jahren – wird rückgebaut und die Materialien für den nächsten Bau wiederverwendet. „Wobei eine Qualitätssicherung die Stabilität und Wiederverwertbarkeit der recycelten Materialien gewährleistet“, betont Kuchta die Gefahrlosigkeit des Prozesses. In dem von der EU geförderten Projekt CIRCuIT haben Kuchta und ihr Team zusammen mit den Bauunternehmen Otto Wulff, Eggers Tiefbau, Otto Dörner, sowie dem auf Nachhaltigkeitslösungen spezialisierten Beratungsunternehmen eHoch3 und der Freien und Hansestadt Hamburg einen Recyclingbeton entwickelt, der im Februar 2024 erstmals in einem Schulbauprojekt zum Einsatz kam.

So sinkt der Energiepreis
„Klassischer Beton wird als Baustoff kritisch gesehen, weil seine Herstellung energieintensiv ist und erhebliche Mengen an CO2-Emissionen verursacht. Doch das könnte in Zukunft kein Problem mehr sein“, meint Kuchta. „Die Zunahme regenerativer Energien, in Hamburg aktuell vor allem Wind und in Zukunft – wahrscheinlich – Sonne, wird den Energiepreis deutlich senken. Das wird zu einer neuen Bewertung eingesetzter Ressourcen führen.“ Auch auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft setzt die Professorin große Hoffnungen. „Die Technologie ist bereits sehr weit entwickelt und da wir von einer Circular City in 30 Jahren sprechen, bin ich sicher, dass bis dahin die Herausforderungen der Wirtschaftlichkeit oder der Infrastruktur gelöst sein werden.“ Die Hansestadt sei dabei bereits auf einem guten Weg, etwa mit dem Bau des Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netzes (HH-WIN), das bis zum Jahr 2032 im Hamburger Hafenareal auf eine Länge von 60 Kilometern erweitert werden soll.

Mobilität der Zukunft
Und wie ist die Mobilität in Circular Cities organisiert? „Emissionsarm durch die fortschreitende E-Mobiliät und mit Fokus auf öffentliche Verkehrsmittel, die ja jetzt schon immer stärker nachgefragt werden“, so Kuchta. Der (Liefer)verkehr erfolge zunehmend autonom und verpackungsarm. „Ob per E-Lastenrad oder per Drohne, Waren werden in Kisten geliefert, die privat oder im Einzelhandel ohne die heutige Flut von Einzelverpackungen in Empfang genommen werden. Was noch verpackt sein muss, kommt in Mehrwegverpackungen“, skizziert die Expertin die Zukunft.

Lust auf eine zirkuläre Zukunft
Doch auch in der Gegenwart lasse sich bereits viel tun, betont Kuchta, zu deren Forschungsschwerpunkten Polymerrecycling, biobased Solutions oder Recycling seltener Metalle gehören. „Ganz simpel: Nicht zu viel kaufen, bzw. bewusst kaufen.“ Second Hand sei eine tolle Möglichkeit, CO2 zu sparen und beim Neukauf von Textilien zu Monomaterialien greifen, empfiehlt die Expertin. „Mischgewebe sind verlockend wegen ihrer nützlichen Produkteigenschaften, doch sie sind verheerend für die Natur, weil sie nur schwer recyclebar sind. Somit schwanken viele beim Einkauf zwischen Bewusstsein und Lebensstil.“ Kuchta wünscht sich mehr Begeisterung für die Kreislaufwirtschaft, so dass (Kauf)-Entscheidungen am Ende intuitiv ökologisch ausfallen. „Es muss nicht jeder bis ins Detail verstehen, wie Kreislaufwirtschaft funktioniert, nur die Idee einer ressourcenwertschätzenden Zukunft feiern.“
ys/kk
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