Nachhaltigkeit

Circular Carbon: Pflanzenkohle als Treiber der Kreislaufwirtschaft

2. Mai 2023
In Hamburg entsteht aus ‚Biomüll‘ Pflanzenkohle und grüne Energie. Die industrielle Produktionsanlage gilt als eine der größten ihrer Art in Europa

Zu Experten für Pflanzenkohle wurden die Circular-Carbon-Gründer Felix Ertl und Peik Stenlund durch eine zufällige Beobachtung. „Unser Fokus lag zunächst auf Klimaprojekten zur Erzeugung von Elektrizität. Dazu haben wir in Uganda, gefördert von SIDA, Weltbank und UNIDO, die Reste von Maiskolben, Spindeln genannt, in Bioenergie umgewandelt“, erzählt Stenlund. Als Nebenprodukt – und noch gänzlich unbeachtet – entstand Pflanzenkohle. „Dann sahen wir, wie Bananenstauden aus einem Pflanzenkohlehaufen schossen, größer und kräftiger als die Bananen auf den Feldern ringsum.“ Als sich dann die wissenschaftliche Forschung vermehrt mit dem immensen Potenzial von Pflanzenkohle beschäftigte, war die Zeit reif: 2018 gründeten Peik Stenlund (Finnland) und Felix Ertl (Deutschland) zusammen mit Lasse Gunnerud (Norwegen) und Julian Pertwee (England) das Unternehmen Circular Carbon. Als Investor wurde die Econnext-Gruppe gewonnen. Die Management-Holding hat sich dem Aufbau von Tochterfirmen verschrieben, deren Geschäftsmodelle im Einklang mit den UN-Nachhaltigkeitszielen stehen und einen langfristigen, profitablen und skalierbaren positiven Einfluss auf Gesellschaft und Umwelt haben. „So wie wir“, erklärt Stenlund. „Unser Ziel war ein Unternehmen, das einen Impact schafft, basierend auf einem tragfähigen Geschäftsmodell: Der Entwicklung, dem Bau und dem Betrieb von Karbonisierungsanlagen in enger Kooperation mit Industrieunternehmen.“

Circular Carbon: Kreislauf mit Synergieeffekt

In Hamburg wurde auf der zum Stadtteil Veddel gehörenden Binneninsel Peute eine erste industrielle Produktionsanlage in Betrieb genommen, in der aus Kakaoschalen Pflanzenkohle gewonnen wird. Der beim Prozess im Reaktor entstehende Dampf wird direkt als ergänzende Energiequelle in das benachbarte Industrieunternehmen geleitet, dessen Schokoladen- und Kakaoproduktion sich damit deutlich klimafreundlicher gestaltet lässt. So entsteht der angestrebte Synergieeffekt: Aus dem in einem Industrieunternehmen anfallenden organischen Abfall entsteht in der Circular-Carbon-Anlage Kohlenstoff. Die beim Prozess entstehende regenerative Energie wird als Prozessdampf, Kälte, Wärme oder Strom in den lokalen Produktionsprozess des Industrieunternehmens eingespeist. Und mit dem Produkt Pflanzenkohle schließt sich der Kreislauf, erläutert Stenlund. „Pflanzenkohle zeichnet sich durch zahlreiche Vorteile aus: Dank seiner Porosität bindet es Wasser und Nährstoffe und ist ideal für den Einsatz in der Landwirtschaft – vom Gartenbau über die Forstwirtschaft bis zur Tierhaltung.“

 

Circular-Carbon-CEO Peik Stenlund

Mit Pflanzenkohle Deutschlands Wälder retten?

Angesichts des Klimawandels wird von einer zunehmenden Trockenheit ausgegangen. Pflanzenkohle als feinkörniger, hochporöser Stoff, der zum Großteil aus Kohlenstoff und Mineralstoffen besteht, speichert Wasser und Nährstoffe wie ein Schwamm und verbessert so die Bodenfruchtbarkeit. Sie könnte dazu beitragen, Deutschlands Wälder zu retten. Laut der Waldzustandserhebung 2022 weisen 79 Prozent der untersuchten Bäume Kronenschäden auf. Als Ursache identifiziert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Stürme, Dürre und Borkenkäferbefall. Pflanzenkohle kann dieser Entwicklung entgegenwirken, ist der Circular-Carbon-CEO Stenlund überzeugt. „Dank der physikalischen Eigenschaft von Pflanzenkohle gehen etwa Nitratauswaschungen um durchschnittlich 40 Prozent zurück.“

Aus Kakaoschalen wird Pflanzenkohle

Pflanzenkohle kann das Tierwohl stärken

„Darüber hinaus stärkt Pflanzenkohle die Darmflora und das Immunsystem. Wir kennen das von Kohletabletten aus der Apotheke“, fährt Stenlund fort, hat aber hinsichtlich seines Produkts vor allem das Tierwohl im Sinn. Und hier vor allem die landwirtschaftliche Tierhaltung von Rindern. „Als Futterergänzung unterstützt Pflanzenkohle die Nährstoffversorgung und -verwertung bei hoher Verträglichkeit. Die Tiere sind insgesamt vitaler und gesünder, Tierarztkosten und der Einsatz von Medikamenten gehen zurück. Zudem wird der Methanausstoß von Rindern um bis zu 40 Prozent reduziert.“ Und Stenlund sieht einen ‚Kaskadeneffekt‘: „Die Pflanzenkohleanteile werden ganz natürlich mit ausgeschieden und sorgen zum einen für ein angenehmeres Stallklima, zum anderen wiederum für eine Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, sobald sie als Gülle auf den Feldern ausgebracht werden.“

So funktioniert die Circular-Carbon-Kreislaufwirtschaft

Hamburgs Standortqualitäten überzeugen

Aktuell prüft Circular Carbon potenzielle Flächen für weitere Anlagen in Hamburg. „Die Lebensmittelwirtschaft ist unser natürlicher Partner, denn sie liefert uns Biomasse wie Kakao-, Kaffee- oder Nussschalen. Aber auch Lebensmittelreste könnten funktionieren“, so der Gründer weiter. Hamburg wiederum stärkt aktuell seine Position als Food Standort. Der Senat hat im vergangenen Jahr die Schaffung des neuen Food-Clusters beschlossen und Food-Innovationen werden durch den Accelerator des Foodlab Hamburg unterstützt. „Wir fühlen uns bei der Ansiedlung in Hamburg durch die Stadt gut begleitet“, betont auch Stenlund.

Karbonisierungsanlage

Tatsächlich besuchte Hamburgs Industriekoordinator Andreas Rieckhof bereits die neue Anlage: „Circular Carbon zeigt uns, wie CO2 langfristig in Pflanzenkohle gespeichert und zudem klimaneutrale Energie gewonnen wird. Ein innovativer Lösungsansatz, der für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft steht und die Dekarbonisierung der Industrie weiter voranbringt.“ Stenlund wiederum ist überzeugt: „Der Standort bietet uns die Chance zu Skalieren. Das belegt unser Projekt auf der Peute – immerhin die größte Anlage ihrer Art in Europa.“
ys/sb

Quellen und weitere Informationen

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