Food

Spitzenköchinnen – rar und unsichtbar

4. November 2025
Obwohl es in Deutschland mehr Köchinnen als Köche gibt, sind sie als Chefinnen kaum sichtbar. Eine Hamburger Journalistin will das jetzt ändern

Als Cornelia Poletto das erste Mal vor einer TV-Kamera stand und bei der Sendung ‚Kerner kocht‘ (später: ‚Kerners Köche‘) mitmachte, gab es nur drei weitere Köchinnen im Fernsehen: „Sarah Wiener, Léa Linster, vielleicht mal eine Johanna Maier“, erinnert sich die Hamburger Spitzenköchin. Und das sei lange Zeit so geblieben. „In Interviews musste ich immer sagen, es sind nicht viele Frauen dazugekommen“. Das könnte sich ändern, sollte die Hamburger Food-Journalistin Denise Wachter mit ihrem Projekt erfolgreich sein. Wir haben mit Wachter, Cornelia Poletto und der Hamburger Köchin Clara Hunger darüber gesprochen, warum es so wenig bekannte Spitzenköchinnen gibt, und warum es von Vorteil ist, auch Chefinnen in der Edelgastronomie zu haben. 

Lächelnde Köchin in blauer Jacke bereitet einen Tisch in einem stilvollen Restaurant vor.
Cornelia Polettos Rezept für eine erfolgreiche Karriere als Köchin: Zielstrebigkeit, Talent und vor allem Humor

Gläserne Decke in der Gastronomie

In Hamburg haben 2023 nach Informationen des Statistikamt Nord zwar weniger Frauen als Männer eine Kochausbildung begonnen, ihr Anteil an den Auszubildenden in dem Bereich steigt jedoch. Bei den ausgebildeten Köch:innen gab es 2024 in Deutschland einen leichten Frauenüberschuss: 297.000 Frauen und 256.000 Männer. Ihr Anteil wird jedoch immer kleiner, je weiter es auf der Karriereleiter nach oben geht: nur 33 Prozent der Führungspositionen in der Gastronomie sind weiblich besetzt. 2025 erhielten in Deutschland 14 Frauen einen Michelinstern – und 337 Männer. 

Was ist also los bei den Frauen: Missfällt ihnen der raue Ton in der Küche? Sind sie zu schwach für die großen Töpfe? Nein, sagt Denise Wachter. Sie ist ist Food-Journalistin beim Stern, Kommunikationsberaterin, und seit Januar 2025 Gründerin von ‚Chef:in‘ – laut ihrer Aussage die „erste Plattform für Deutschlands Spitzenköchinnen“. Dass Küchen immer noch meist von Männern geleitet werden, sei ein strukturelles Problem. „Wir leben in einem patriarchalen System. Da fördern Männer eher Männer, da nehmen Männer eher Räume ein und da müssen Frauen sich doppelt behaupten, und ja: zum Teil auch doppelt so hart arbeiten“, sagt sie. So bleiben Profiküchen seit Generationen in der Hand von Männern.

‚Chef:in‘ soll Spitzenköchinnen Aufmerksamkeit verschaffen

Deshalb soll die Plattform Chef:in den Köchinnen eine Bühne geben. Es gehe in erster Linie um Sichtbarkeit, so Wachter, auch Vernetzung spiele eine Rolle. In diesem Jahr hat sie erstmals eine Watchlist veröffentlicht: 18 Frauen aus der Spitzengastronomie, die auf der Website und den Social-Media-Kanälen von Chef:in vorgestellt werden. Künftig sollen auch Workshops, beispielsweise in Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, angeboten werden. „Wir wollen zeigen: Es gibt starke Vorbilder und sie beweisen, dass Frauen mit Talent, Kreativität und Unternehmertum in der ersten Liga spielen“, so Wachter.

Frau mit weißer Bluse und dunkler Hose hockt vor rosa Hintergrund und lächelt in die Kamera.
Spitzengastronomie bedeutet für Denise Wachter Leidenschaft, Produktqualität, gutes Handwerk und eine eigene Handschrift

Klassische Hierarchien durchbrechen

Klickt man auf der Website von Chef:in auf das Foto von Zora Klipp, Küchenchefin im Café Weidenkantine und im Restaurant Blattgold in Hamburg, erfährt man, dass sie sich vor allem der pflanzlichen Küche widmet, klassische Küchenhierarchien durchbrechen will und ihre neueste kulinarische Entdeckung Timutpfeffer ist – wegen seiner Grapefruitnote, die ihn für süße und herzhafte Gerichte geeignet macht. Die 34-Jährige ist nicht nur zweifache Küchenchefin, sie ist außerdem Jurorin bei der Fernsehshow ‚Küchenschlacht‘ und gerade eben Mutter geworden.

Zwar sei Mutterschaft noch immer eine der Karrierehürden, doch auch hier tue sich was, weiß Wachter aus Gesprächen. Viele Spitzenköchinnen setzen sich für familienfreundlichere Strukturen ein, etwa durch geteilte Führungspositionen. Wachter ist überzeugt: Trotz der Hürden – oder gerade deshalb – entwickeln Frauen innovative Konzepte. Egal ob strukturell oder kulinarisch.

Frischer, weiblicher Wind für Hamburg

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Hamburger Köchin Clara Hunger. Ihre Ausbildung hat sie in Tim Mälzers Bullerei in Hamburg absolviert. Danach zog es sie unter anderem nach Wien und Berlin, um nun im Anschluss über den Sommer hinweg mit zwei Freunden auf St. Pauli ihre Pop-up-BarNullkommaeins“ zu betreiben. Während der Zwischennutzung verwandelten Clara Hunger und ihr Team die Eventlocation von Tazzi-Pizza in einen Ort für hochwertiges Essen und gute Weine. Mit Beginn der Wintersaison übernahm nun wieder die Eigentümerseite die Räumlichkeiten.

Eine gelungene Ergänzung für Hamburg, findet Wachter: „Hamburgs Gastronomie ist geprägt von einer tiefen Nachbarschaftsverbindung und vielen inhabergeführten Restaurants. Das findet man so in Deutschland kein zweites Mal“. Moderne und innovative Konzepte wie die Nullkommaeins-Bar sorgen für frischen Wind.

Junge Frau mit langen braunen Haaren und schwarzem Oberteil lächelt vor grauem Hintergrund.
Clara Hungers erstes Vorbild in der Küche war eine Frau: Ihre Oma hat sie früher beim Kochen häufig auf den Küchentresen gesetzt

Sichtbar sichtbar

„In männerdominierten Jobs müssen Frauen mehr geben, um gesehen zu werden“, findet auch Clara Hunger. Dabei gehe es in gemischten Teams wesentlich harmonischer zu, so ihre Erfahrung. Wachter sieht einen „Schneeballeffekt“: „Wenn Küchen von Frauen geleitet werden, bewerben sich auch mehr Frauen auf die Ausbildungsplätze.“

Offenbar kommt die Plattform Chef:in zur richtigen Zeit. Das Interesse sei groß und die Chefinnen motiviert. Erste Erfolge kann Chef:in auch schon verzeichnen: „Produktionsfirmen werden über unsere Liste auf Frauen für Fernsehformate aufmerksam “, so Wachter. Die Sichtbarkeit, sie steigt. Auch Cornelia Poletto sagt, sie habe das Gefühl, dass es langsam mehr Frauen in die Top-Gastronomie und vielleicht auch vor die Fernsehkameras zieht. 
ja/kk/sb

Quellen und weitere Informationen

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