New Work

Otto-Group-CFO Roewer: „Unternehmenskultur ist kein Chichi“

17. Juni 2025
Katy Roewer arbeitet seit zehn Jahren als Vorständin in Teilzeit. Wie funktioniert das?

Der Frauenanteil in der Geschäftsführung der 100 größten Familienunternehmen in Deutschland betrug 2024 rund 12,6 Prozent. Bei mehr als der Hälfte (53) der Firmen sei die Top-Etage rein männlich besetzt, so eine Studie der gemeinnützigen Allbright-Stiftung. Ganz anders sieht es bei der Otto Group mit Sitz in Hamburg aus. Seit Mitte Mai 2025 ist das Geschlechterverhältnis im sechsköpfigen Konzernvorstand ausgeglichen – mit Petra Scharner-Wolff als CEO, Katy Roewer (CFO) und Mahbobeh Sabetnia (CTO).

Diversität, Female Empowerment und Gleichstellung, Themen wie diese liegen Katy Roewer besonders am Herzen. Seit dem 1. März 2025 verantwortet sie im Konzernvorstand der Otto Group den Bereich Finanzen, Controlling und Personal. Zuvor war die gebürtige Neubrandenburgerin als Bereichsvorständin beim Konzernunternehmen Otto tätig. Das Besondere: Seit der Geburt ihres Sohnes vor elf Jahren arbeitet Roewer in Teilzeit. Wir haben uns mit ihr über Learnings, Frauen in Führung und eine gerechte(re) Arbeitswelt unterhalten.

Vorstand in Teilzeit bei der Otto Group – Learnings 

Hamburg News: Sie arbeiten nun seit zehn Jahren als Vorständin in Teilzeit. Wie gestalten Sie das?

Katy Roewer: Die ersten fünf Jahre nach der Geburt meines Sohnes habe ich auf eine Vier-Tage-Woche gesetzt. Montags hatte ich immer frei. Seit mein Sohn in der Schule ist, habe ich zwei freie Nachmittage – montags und freitags. Dieser Teilzeitansatz gibt mir die organisatorische Freiheit, die Zeit für meine Familie sinnvoll zu nutzen. So kann ich an den freien Nachmittagen tatsächlich Zeit mit meinem Sohn verbringen und nicht nur gebündelt am Wochenende. Denn ich weiß, wie ich arbeite. Wenn ich 100 Prozent arbeite, dann arbeite ich mehr als 100 Prozent. Und jetzt arbeite ich mehr als 80 Prozent. Deshalb brauche ich organisatorische Rahmendaten, die mir ein bisschen Struktur geben. Nämlich, um genau das zu machen, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Gemeinsam mit meinem Mann natürlich.

Hamburg News: Was sind Ihre größten Learnings dabei?

Roewer: Es ist wichtig, dass man das Modell für sich durchdacht hat. Ich könnte natürlich wieder auf einen 100-Prozent-Vertrag gehen. Das würde es sicher für meine Kolleg:innen einfacher machen, nur nicht für mich. Ich habe aber keinen Nine-to-five-Job und dann hätte ich wesentlich mehr Diskussionen, um mir die Freiräume, die ich für meine familiäre Situation brauche, zu schaffen. Darüber hinaus spielt das Umfeld eine entscheidende Rolle – ob beruflich oder privat. Das Umfeld muss solch einen Teilzeitansatz mittragen wollen.

Als ich damals in den Bereichsvorstand gewechselt bin, war Alexander Birken, der aktuelle Aufsichtsratsvorsitzende der Otto Group, mein Vorgesetzter. Ich habe ihm gesagt, dass ich es gern mit dem 80-Prozent-Modell probieren möchte. Ich wusste, dass das klappen kann, und ich war und bin bereit, einen Preis dafür zu zahlen. Aber das ist meine persönliche Entscheidung. Genauso, wie es die Entscheidung des Arbeitgebers ist, sich auf solch ein Modell einzulassen. Das war für mich das Wichtigste: Dass ich das gleich zu Beginn geklärt habe, weil es beiden Seiten Planungssicherheit gegeben hat. Dann kommt noch der organisatorische und der erklärende Aufwand in den Teams dazu; es gilt auch die Woche entsprechend zu strukturieren. Dabei hilft mir meine Assistentin, die mich auch daran erinnert, wenn ich zu viel in meine freien Nachmittage hineinarbeite.

Hamburg News: Und welche Rolle spielt das familiäre Umfeld?

Roewer: Auch das familiäre Umfeld ist entscheidend, da es das gewählte Modell mittragen muss. Wenn man weiß, was einem wichtig ist in der persönlichen Lebenssituation, dann kann diese Teilzeitlösung sehr gut funktionieren. Speziell für Mütter gilt, – und das ist mir ein Herzensthema –, dass Familie und Haushalt nicht nur in der Verantwortung der Frau liegen. Wenn wir über Gleichberechtigung sprechen, dann muss sich diese auch in der Partnerschaft und dem gewählten Familienmodell wiederfinden. Ich war da eher nüchtern am Anfang und vielleicht wenig romantisch – und habe das direkt geklärt. Das war wichtig, damit wir heute als Familie funktionieren, mit allen Höhen und Tiefen. Außerdem braucht man als Frau und Mutter, insbesondere mit kleinen Kindern, ein dickes Fell – vor allem, um den gesellschaftlichen Vorurteilen und den Reaktionen zu begegnen und diese auszuhalten. Und man muss sich immer wieder klarmachen, dass es keinen Grund gibt, ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich habe zum Beispiel nach der Geburt meines Kindes sehr zeitnah wieder angefangen zu arbeiten.

Darüber hinaus habe ich gelernt, dass Führung in Teilzeit nur funktioniert, wenn ich meinen Mitarbeiter:innen bedingungslos vertraue. Wenn ich permanent das Gefühl hätte, ich müsse alles im Job kontrollieren, dann funktioniert solch ein Modell nicht.

Die Otto Group Firmenzentrale in Hamburg. Ein großer Gebäudekomplex aus Beton und Glas.
Damit New Work nicht nur ein Versprechen ist, wurde das Headquarter der Otto Group in Hamburg zu einem Campus mit flexiblen Arbeitsplätzen, hybriden Strukturen und modernen Gadgets umgebaut.

Was eine starke Führung in der heutigen Zeit braucht

Hamburg News: Das ist die perfekte Überleitung zur nächsten Frage. Was braucht Ihrer Meinung nach eine starke und krisenfeste Führung?

Roewer: Ich denke, dass Führungskräfte sich nicht zu wichtig nehmen dürfen. Wenn man eine berufliche Entwicklung durchlebt, gefördert wird, Karriere macht und Anerkennung für seine eigene Arbeit spürt, darf man sich natürlich darüber freuen und stolz darauf sein. Aber das darf sich nicht in der Ansicht äußern, dass man plötzlich glaubt, mit der zusätzlichen Verantwortung ginge auch das Recht einher, Macht über andere auszuüben, oder zu meinen, dass man Dinge besser könne oder wisse.

Ich kann nur dafür sorgen, dass ich in meinen Bereichen die besten Talente einstelle und die bestmöglichen Arbeitsvoraussetzungen schaffe. Natürlich brauche ich Expert:innen; gerade für die Zusammenstellung von Teams gilt es aber darüber hinaus, möglichst viele unterschiedliche Perspektiven zusammenzubringen. Und damit meine ich nicht nur geschlechtergemischte oder internationale Teams, sondern auch unterschiedliche Charaktere und Hintergründe. Und natürlich auch Potenzialträger:innen. Ich habe beispielsweise schon immer großen Spaß an der Talententwicklung gehabt. In der heutigen Zeit brauchen starke Führungskräfte eine Idee davon, was sie erreichen wollen. Also nicht im Sinne von ‚Ich weiß es fachlich besser‘, sondern vielmehr eine Idee, die sich in Menschenkenntnis und Empathie wiederfindet: ‚Wie kann ich mein Team oder einzelne Menschen am besten erreichen und motivieren?‘

Hamburg News: Sollten Führung und Verantwortung Hand in Hand gehen?

Roewer: Ja, um sich in den Dienst der Menschen, für die ich als Führungskraft verantwortlich bin, zu stellen, braucht es ein großes Verantwortungsbewusstsein. Wenn man mit Menschen arbeitet, hat man Verantwortung für diese, aber auch für sich selbst. Die Balance zu halten, auch emotional, das ist für mich persönlich ehrlicherweise die schwierigste Aufgabe als Führungskraft. Dazu gehört es zum Beispiel, harte Entscheidungen durchzusetzen. Auch ich bin durch Sorgen, die mir die geopolitische Lage bereitet, beeinflusst. Deshalb habe ich für mich entschieden, dass ich meine Kraft aus meiner Familie ziehe. Und der Rest fügt sich.

Otto-Group-Vorständin: Unternehmenskultur ist harte Arbeit

Hamburg News: Wie kann die Arbeitswelt gerechter werden?

Roewer: Es ist entscheidend, dass Firmen langfristig an ihrer Unternehmenskultur arbeiten und dieses nicht als Chichi empfinden, sondern als harte Arbeit. Das bilden wir in der Otto Group durch den Anspruch, eine bewusste Performancekultur zu gestalten, auch ausdrücklich in unserer strategischen Agenda ab. Dabei geht es einerseits darum, dass Führungskräfte Impulsgeber:innen und Vorbilder sein sollen, andererseits soll die Selbstwirksamkeit unserer Mitarbeitenden gestärkt werden. Die Unternehmenskultur und die Mitarbeitenden weiterzuentwickeln – auch in Veränderungsprozessen – ist eine wesentliche Aufgabe. Dazu gehört zum Beispiel, Mitarbeitende ernst zu nehmen und nicht als Objekte zu betrachten. Wie hole ich das Potenzial aus dem oder der Einzelnen raus? Wie schaffe ich eine Atmosphäre, in der Stärken gelebt werden können? Wie schaffe ich eine Umgebung, in der Menschen Fehler machen dürfen? All das gilt es mit klassischen HR-Instrumenten – Vergütung, Arbeitszeitmodelle, Ausstattung am Arbeitsplatz usw. – zu kombinieren.

Die grundsätzliche Herausforderung ist, allen Mitarbeitenden das Gefühl zu geben, einen Wert für den Erfolg des Unternehmens zu haben, sie eben nicht nur fair zu bezahlen, sondern ihnen immer wieder zu vermitteln, dass sie sich einbringen können. Das macht meines Erachtens Arbeit gerecht und sinnstiftend. Dafür jedoch braucht es wirtschaftlich gesunde Unternehmen. Denn nur gesunde Unternehmen sind in der Lage, Menschen nicht nur beschäftigen zu können, sondern auch gerechte Arbeitsbedingungen zu bieten.

Hamburg News: Danke für das Gespräch!

Das Gespräch führte Sarah Bischoff

Quellen und weitere Informationen

Otto Group

Die Otto Group ist eine international agierende Handels- und Dienstleistungsgruppe mit Hauptsitz in Hamburg. Der nach Konzernangaben „größte Onlinehändler europäischen Ursprungs“ beschäftigt rund 36.000 Mitarbeitende weltweit. Im Geschäftsjahr 2024/25 erwirtschaftete das Familienunternehmen einen Gesamtumsatz von knapp 15 Milliarden Euro. Seit dem 1. März 2025 ist Petra Scharner-Wolff Vorstandsvorsitzende der Otto Group. Zeitgleich übernahm Katy Roewer die Rolle als CFO. Im Zuge dessen wurde eine neue strategische Agenda beschlossen. Diese besteht aus fünf Säulen: Inspiring customers, Scaling and diversifying, Increasing profitability and investment capability, Creating competitive tech capabilities und Creating a culture of performance. 

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