Ein Blick auf das Statista-Ranking der 20 Länder mit dem größten Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024 ergibt einen sicheren ersten Platz für die USA, gefolgt von China. Doch der Kampf um die (wirtschaftliche) Vorherrschaft ist längst entbrannt, sind sich die Expert:innen sicher. Allerdings dürfe Deutschland – im Ranking auf Platz 3 – dabei nicht die Chancen und Potenziale anderer internationaler Märkte aus dem Blick verlieren. Und da gibt es viel zu entdecken, berichteten die Repräsentant:innen verschiedener Auslandshandelskammern (AHK).
Ist Deutschlands Wirtschaft auf die aktuelle Krisenlage vorbereitet? „Teilweise. Wir reagieren situativ“. Das jedenfalls erklärten 61 Prozent der rund 400 Teilnehmer:innen beim 2. Hamburger Außenwirtschaftstag (2. Juli 2025) in der Handelskammer Hamburg. Immerhin 28 Prozent betonten eine klare Strategie zu haben, 11 Prozent hingegen sahen sich eher schlecht vorbereitet. Knut Alicke, Partner emeritus beim international tätigen Beratungsunternehmen Mc Kinsey, überrascht das Ergebnis nicht. „Herausforderungen gab es immer. Aber aktuell haben wir es mit einem ganzen Schwarm schwarzer Schwäne zu tun.“ Vor allem die erratische Zollpolitik von Donald Trump mache es der Wirtschaft schwer – und das weltweit. Josef Braml, USA-Experte und European Director der Denkfabrik Trilaterale Kommission, sieht die globale Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Es gehe darum, wer die mächtigste Macht auf der Welt ist: die USA oder China.
Deutschland auf Rang 3

Blick auf China
China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands – und Hamburgs. „Das wird auch so bleiben, ob es uns gefällt oder nicht“, ist Lars Anke überzeugt. Der Chefrepräsentant des Hamburg Liaison Office, der offiziellen Vertretung Hamburgs in China, verweist auf die Weiterentwicklung des 2015 gestarteten Masterplans ‚Made in China 2025‘, mit dem das Land die Transformation von der ‚verlängerten Werkbank‘ zu einer weltweit führenden Hightech-Nation geschafft hat. „Ob erneuerbare Energien, Batterietechnologie oder E-Mobilität, China macht Deutschland Konkurrenz. Und das nicht nur auf den Weltmärkten, sondern auch in Deutschland selbst.“ Aktuell treibe die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt den E-Yuan voran. Der Ausbau der digitalen Währung soll die Abhängigkeit auf internationaler Ebene von den USA reduzieren.

Aufstrebende Märkte: Vietnam und Indien
Als junger und hungriger Nachbar Chinas präsentiert sich Vietnam der Welt. Das Durchschnittsalter liegt bei 32 Jahren, was dem Land ein großes Arbeitskräftepotenzial beschert, und das jährliche Wachstum des BIP liegt bei 5 bis 7 Prozent. „Im nächsten Jahr soll es nach Willen der Regierung zweistellig sein – wenn die US-Zölle dem Ganzen keinen Strich durch die Rechnung machen“, so Björn Koslowski, stellvertretender Delegierter der AHK Vietnam.
Das berühmte Sprichwort ‚Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte‘ könnte Indien für sich beanspruchen. „Vor dem Hintergrund des aggressiven Machtstrebens von USA und China etabliert Indien sich zunehmend als verlässlicher Partner“, betonte Sameeha Pradeep Sule, Hamburgs Chefrepräsentantin in Mumbai. Und als potenter Partner. Das südasiatische Land hat bereits China als bevölkerungsstärkstes Land der Welt abgelöst und ist nun auf dem Weg, Japan wirtschaftlich zu überholen und zur viertgrößten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen. Für das Jahr 2025 wird Indiens BIP auf rund 4.187 Milliarden US-Dollar prognostiziert. Auch Hamburg schätzt die Wirtschaftskraft Indiens und feierte mit der 11. India Week Hamburg Ende Juni die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Verbindungen zwischen Hamburg und Indien.

Chancen in VAE und Afrika
Die Vereinigten Arabischen Emirate setzen auf Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Comprehensive Economic Partnership Agreement, kurz CEPA), um Handelsbeziehungen zu festigen. „Inzwischen wurden 27 Abkommen unterzeichnet und acht ratifiziert“, weiß Kirsten Staab. „Entsprechende Verhandlungen mit der EU sollen bis Ende des Jahres zum Abschluss kommen – das eröffnet große Chancen auch für Deutschland“, ist Hamburgs Vertreterin in Dubai überzeugt. Die bieten sich auch in Afrika: Während Südafrika mit einem Handelsvolumen von mehr als 20 Milliarden Euro Deutschlands wichtigster Handelspartner in Afrika ist, gilt Ostafrika als eine der wachstumsstärksten Regionen der Welt. „Kenia hat sich als Technologiestandort einen Namen gemacht und wird als ‚Silicon Savanah‘ bezeichnet“, so Monika Erath, Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Ostafrika.

Argentiniens (smarte) Zukunft
Argentinien wiederum setzt auf Rohstoffe, um seine Wirtschaft voranzutreiben. So besitzt das lateinamerikanische Land bedeutende Vorkommen kritischer Rohstoffe, wie Lithium und Kupfer, die für Schlüsseltechnologien oder die Energiewende entscheidend sind. „Das Land erfindet sich neu und beeindruckt mit seinem rasanten Wirtschaftswachstum“, so Günther Neubert, Chief Executive Officer der AHK Argentina. Tatsächlich prognostiziert Statista Argentinien für 2025 ein BIP-Wachstum von rund 5,5 Prozent, während es im vergangenen Jahr bei -1,7 Prozent lag. Aber auch der Agrarsektor entwickle sich gut. Neben den ‚berühmten‘ argentinischen Steaks werden vor allem Soja, Mais und Weizen exportiert. „Dabei hat sich das Land zu einem Vorreiter bei Smart-Farming-Technologien entwickelt“, betonte Neubert die Zukunftsorientierung Argentiniens.
Mexiko und Kanada: Chancen für Deutschland?
Mexikos Orientierung liegt klar auf seinem großen Nachbarn USA. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen den USA und Mexiko gilt mit 840 Milliarden Dollar als das größte der Welt. „Aber auch rund 2.100 deutsche Unternehmen sind in Mexiko tätig und das nicht nur in der Automobilindustrie“, erklärte Johannes Hauser.
Eine besonders ‚innovative‘ Partnerschaft hat Deutschland und Kanada das letzte Jahr über verbunden. Beide Länder führten gemeinsam den Vorsitz bei Eureka, einem weltweiten Innovationsnetzwerk, das seit 1985 grenzüberschreitende, marktnahe Innovationsprojekte fördert. Aber auch durch die deutsch-kanadische Wasserstoffallianz sind beide Länder miteinander verbunden. Kanada verfügt über großes Potenzial bei Wind-, Wasser- und Solarenergie und gilt somit als einer der vielversprechendsten Standorte für Wasserstoff weltweit. Der Import von grünem Wasserstoff soll etwa über den Hamburger Hafen erfolgen.

Warum in die Ferne schweifen? Europa:
Auch Europa hat hübsche Märkte. Frankreich etwa ist Deutschlands zweitwichtigster Außenhandelspartner nach den USA und belegt Platz 3 im Ranking der 10 wichtigsten Handelspartner Hamburgs – sowohl im Ex- als auch im Import. „Wir sprechen hier von stabilen und intensiven Deutsch-Französischen Beziehungen, die durch Forschungskooperationen in Bereichen wie Digitalisierung, Industrie 4.0 oder Greentech weiter vertieft werden sollen“, betonte Yvonne Zwiener von der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer.
Als Vorreiter im Bereich Digitalisierung gelten vor allem die baltischen Länder. So hat Estland mit e-estonia ein moderne e-Government-Infrastruktur aufgebaut. „99 Prozent aller Behördengänge lassen sich digital erledigen“, weiß Dominic Otto von der Deutsch-Baltischen Handelskammer in Estonia, Latvia und Lithuania. Lettland ist im Bereich Fintech stark und Litauen hat sich auf die Entwicklung von Lasertechnologien spezialisiert. Vom jeweiligen Know-how soll ganz Europa profitieren. So haben Deutschland und das Baltikum einen Innovationsclub gegründet, um in Brüssel auf eine innovationsfreundliche und chancenzentrierte europäische Digitalpolitik hinzuwirken.

Auf dem Weg zu einem einigen Europa?
So viele Länder, so viele Chancen im internationalen Handel. Denn wenn auch der 2. Hamburger Außenwirtschaftstag unter dem Motto ‚Disruption in der Außenwirtschaft‘ stand, herrschte eine eher optimistische Grundstimmung. Kooperation und Kollaboration wurden als Schlüssel für Innovation identifiziert – und als Strategie gegen übermächtige ‚Partner‘ wie China und USA. „Eigentlich verdient Donald Trump den Karlspreis“, fand US-Experte Josef Braml. „Er zwingt Europa zur Einigung und Souveränität.“
ys/sb