Interview Serie

Beyond Corona – Blick über den großen Teich

22. September 2020
HamburgAmbassador Sven C. Oehme berichtet für die Hamburg News über die Entwicklungen rund um Corona in New York

In einer Interview-Reihe sprechen die Hamburg News mit einigen der 39 ehrenamtlichen HamburgAmbassadors, die sich in einem internationalen Netzwerk in 29 Ländern der Welt ehrenamtlich für die Hansestadt engagieren. In diesem Beitrag schildert Sven C. Oehme, HamburgAmbassador aus New York, die aktuelle Lage in der Metropole und seine Erfahrungen mit der Corona-Krise.

Hamburg News: Die erste Frage, die uns alle bewegt: Geht es Ihnen und Ihrer Familie gut, kommen Sie gut durch die Corona-Zeit?

Oehme: Bisher geht es allen gut. New York City hat seit einem Monat eine Infektionsrate von 0,5 Prozent. Das ist auch im internationalen Vergleich sehr gut. Im Staat New York liegt sie im gleichen Zeitraum bei unter einem Prozent. Es werden im Durchschnitt täglich um die 80.000 Tests durchgeführt, die in den meisten Fällen kostenlos sind.

Hamburg News: Keine Stadt in den USA war so schwer vom Coronavirus getroffen wie New York. Können Sie das für uns einordnen?

Oehme: New York City ist einer der wichtigsten Einreiseorte für Europäer. Daher hatten wir am Anfang so viele Erkrankungen und die Grenzschliessung war eine wichtige Maßnahme. Im März betrug die Infektionrate 25 Prozent, es wurden Schulen, Restaurants und Geschäfte (no essential) geschlossen. Es hat in New York aber nie einen Lockdown wie in europäischen Ländern gegeben. Jeder konnte nach wie vor seine Wohnung, sein Haus verlassen. Nur wollten viele das natürlich nicht.

Es hat in New York geholfen, dass die meisten Leute die getroffenen Maßnahmen verstanden haben und den Anweisungen des Governors von New York State gefolgt sind. Auch heute tragen fast alle Masken und halten den entsprechend notwendigen Abstand ein. Vor allem gab es keine überhastete Öffnungen wie in vielen der anderen amerikanischen Staaten. Die Entscheidung über die schrittweise Öffnung traf der Governor des Staates, nicht die Bundesregierung.

Hamburg News: Was waren oder sind die Stärken der New Yorker für den erfolgreichen Neustart?

Oehme: New York hat schon viele Krisen erlebt, so zum Beispiel den terroristischen Angriff auf das World Trade Center. New Yorker sind diszipliniert, haben Willensstärke, Durchhaltevermögen, aber nehmen trotzdem Rücksicht auf andere. Der Governor hat jeden Tag eine Pressekonferenz abgehalten und abends Emails mit dem neuesten Stand verschickt. Sein Credo war immer: ‘Be New York Tough’, ‘be smart, united, disciplined, loving’. Das hat sehr geholfen.

Hamburg News: Könnte Corona New York für immer verändern?

Oehme: Auch nach dem 11. September 2001 haben Leute New York verlassen, weil sie nicht mehr in Hochhäusern leben oder arbeiten wollten. Gerade in den letzten Jahren sind Wohnhochhäuser gebaut worden, deren Wohnungen auch gut verkauft werden, selbst in der gegenwärtigen Zeit. In New York ist immer ein Kommen und Gehen. Leute, die auf dem Land, außerhalb New Yorks ein Haus haben, haben sich in der jetzigen Situation dorthin zurückgezogen. Viele von ihnen werden aber im Laufe der Zeit zurückkommen, zumal Ende September in den Public Schools wieder der Klassenunterrricht beginnen soll.

Ein weiterer Aspekt, der für eine Rückkehr in die Stadt spricht: Die Leute, die aus dem Staat New York weggezogen sind, werden möglicherweise eine höhere Einkommensteuer zahlen müssen. In den USA gibt es neben der Bundeseinkommensteuer in den jeweiligen Staaten eine zusätzliche Einkommensteuer. Das mag im Einzelfall noch ein böses Erwachen geben.

Hamburg News: Die Metropolregion New York ist einer der bedeutendsten Wirtschaftsräume der Erde. Welche Branchen haben die besten Chancen, positiv aus der Krise hervorzugehen?

HamburgAmbassador Sven C. Oehme

Oehme: Der Dienstleistungssektor ist in der New Yorker Wirtschaft sehr ausgeprägt. Das hat den Vorteil, dass man vieles aus der Ferne machen kann. Es gibt hier sehr viele große und auch kleinere Anwaltskanzleien. Wirtschaftprüfer sind in der Stadt stark vertreten. Google und andere IT Unternehmen beschäftigen viele Menschen in New York City.

Viele Gastronomiebetriebe wie auch Lebensmittel-Geschäfte haben einen Lieferservice aufgebaut. New York City ist auch eine Medizinhochburg mit Spitzenkrankenhäusern.Virtuelle Arztbesuche sind da ein Bereich, der sich kräftig ausdehnt. Ganz allgemein haben Amerikaner wenig Probleme damit, Services virtuell zu nutzen. Kaufhäuser und Geschäfte sind wieder geöffnet, auch Shopping Malls, aber man muss davon ausgehen, dass ein Großteil des Handels schon online abgewickelt wird und sich das noch verstärken wird. Es ist nicht nur Amazon. Alle bieten online an. Der Versandhandel wurde in den USA erfunden, also gibt es wenig Hemmungen in der Bevölkerung. Auch Wohnungsbesichtigungen werden virtuell gemacht.

Hamburg News: Gibt es Fördermaßnahmen, die den Unternehmen helfen?

Oehme: Es gibt schon seit Beginn der Pandemie umfangreiche Programme sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Staaten- oder Städteebene, die den Betroffenen helfen. Es war aber für einige Monate so, dass manche Arbeitnehmer auf diese Weise mehr Geld erhalten haben als wenn sie gearbeitet hätten. Daher war das Interesse bei vielen, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren, reduziert. Inzwischen sind die Arbeitslosenzahlen, wenn auch noch auf hohem Niveau, wieder rückläufig. In den USA ist es üblich, Leute schnell wieder einzustellen, wenn der Bedarf vorhanden ist. Das hat sich in den letzten Rezessionen immer wieder gezeigt.

Hamburg News: Wir ordnen sie die Situation für die Kulturbranche ein?

Oehme: Die Kulturbranche ist extrem betroffen, also Broadway, die Metropolitan Opera, die Konzertsäle, auch die vielen Comedy und Musik Clubs. Ebenso auch die Museen, die jetzt langsam mit stark reduzierter Besucherzahl wieder öffnen. Es gibt Gerüchte, dass die Museen einige Exponate verkaufen werden müssen, um das Defizit abzufangen. Es wird nicht damit gerechnet, dass es Theateraufführungen vor 2021 geben wird. Es wird aber viel digital angeboten, allerdings inzwischen eher gegen Entgelt, nicht mehr kostenlos. Eine Ausnahme, New York Philharmonic, deren Solisten auf Pick-up Trucks in die Stadtteile fahren und kostenlos Live Musik spielen.

Hamburg News: Haben sich, wie in Deutschland und in vielen anderen Ländern, wieder stärkere lokale Strukturen entwickelt?

Oehme: Sowohl auf privater Ebene, aber auch auf staatlicher Ebene gibt es zum Beispiel Unterstützung, um die Leute mit Lebensmitteln zu versorgen, die sie sich nicht leisten können. Dabei gibt es auch viele Einzelinitiativen, über die gar nicht so viel gesprochen wird, die aber sehr aktiv sind.

Hamburg News: Es heißt, die Digitalisierung ist der größte Profiteur von Coronakrise. Stimmt das auch für New York Stadt und State?

Oehme: New York war bei der Digitalisierung schon immer ziemlich vorne weg und das wird sich noch weiter fortsetzen. In meinem Büro hatte ich nach dem Hurricane Sandy für jeden die Möglichkeit geschaffen, von zu Hause arbeiten zu können. Auch Artificial Intelligence wird sich schneller verbreiten, weil immer mehr Unternehmen die Vorteile sehen. Im persönlichen Bereich haben die Streaming Services, unter anderem Netflix, und viele andere kräftig zugelegt. Ob es dabei bleibt, dass viele von außerhalb New Yorks via Internet arbeiten werden, muss man sehen. Es gibt ja durchaus Stimmen, die wollen, dass die Leute wieder zurückkommen. So hat sich der CEO von Netflix, Reed Hastings, in einem Interview mit The Wall Street Journal am 7. September sehr deutlich gegen das Arbeiten aus der Ferne ausgesprochen. New York ist die amerikanische Medienstadt und auch da wird die Digitalisierung in den nächsten Jahren  viel verändern.

Hamburg News: Lieber Herr Oehme, wir danken Ihnen für das Gespräch.
imb/sm/kk

Quellen und weitere Informationen

HamburgAmbassador-Programm

Die zur Zeit 39 HamburgAmbassadors aus 29 Ländern üben ein Ehrenamt aus, in das sie vom Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg berufen werden. Die Senatskanzlei, die Handelskammer Hamburg und die an Hamburg Marketing beteiligten Institutionen haben das von Hamburg Marketing koordinierte HamburgAmbassador-Programm ins Leben gerufen, das in seiner Struktur einmalig in Deutschland ist. Die HamburgAmbassadors sind Unterstützer und Netzwerker für Politik ebenso wie für Unternehmer, Wissenschaftler, Kulturschaffende im Ausland, mit dem Ziel, Hamburg international zu positionieren.

Ambassador Sven C. Oehme

Er ist der Mann der ersten Stunde: Der Jurist und Wirtschaftsexperte Sven C. Oehme wurde mit Gründung des HamburgAmbassador-Programms 2005 vom damaligen Ersten Bürgermeister Ole von Beust zum ehrenamtlichen Botschafter in New York ernannt. Seitdem engagiert sich der gebürtige Hamburger dort für die Interessen der Hansestadt. Als Präsident und CEO der European-American Business Organization und ehemaliger Geschäftsführer der Europäisch-Amerikanischen Handelskammer in den Vereinigten Staaten (EACC) sowie Vizepräsident der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer gilt Sven C. Oehme als ausgewiesener Kenner der USA und speziell New Yorks. Bevor er 1991 in die EACC eintrat, war Sven C. Oehme u. a. in New York in leitenden Positionen bei Tochtergesellschaften des Zeitschriftenverlags Gruner+Jahr tätig. Herr Oehme ist ein gefragter Redner und Berater zu Entwicklungen in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA.

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