Forschung

Bernhard-Nocht-Institut: 125 Jahre Infektionsforschung

26. September 2025
Zum Jubiläum des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin sprach Hamburg News mit dem Vorstandsvorsitzenden Prof. Jürgen May

Ein Konzert in der Elbphilharmonie, ein internationaler Kongress zu globaler Gesundheit und Tropenmedizin sowie ein Senatsempfang im Rathaus – Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) feiert seinen 125. Geburtstag. Eine Jubiläumsausstellung in der Rathausdiele illustriert die aktuelle Arbeit und Geschichte der Einrichtung. Die begann am 1. Oktober 1900 als ‚Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten‘ unter  Gründungsdirektor Bernhard Nocht. Heute zählt das BNITM zu den weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet tropentypischer und neu auftretender Infektionen. Hamburg News sprach mit dem BNITM-Vorstandsvorsitzenden Professor Jürgen May über Geschichte, Aktuelles und Zukunftsvisionen. 

Hamburg News: Lieber Professor May, ein kurzer Blick zurück in die Geschichte: Wie kam es zur Gründung des BNITM?

Prof. Jürgen May: Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Europa mehrere Choleraepidemien. Die von 1892 in Hamburg kostete etwa 10.000 Todesopfer und der Hafen musste geschlossen werden. Das bedeutete Alarmstufe rot für die Stadt, die damals noch kein ausreichendes Gesundheitssystem hatte und auch keine Universität als zentrale Forschungseinrichtung. Deshalb wurde Bernhard Nocht, ein Schüler von Robert Koch, berufen, um die Epidemie zu bekämpfen.

Hamburg oder Berlin?

Hamburg News: Robert Koch wollte das Institut aber lieber in Berlin sehen, oder?

Prof. Jürgen May: Das ist richtig. Doch Hamburg punktete als Hafenstadt. London und Liverpool hatten bereits entsprechende Institute und sind ebenfalls Hafenstädte – aus gutem Grund. Der Hafen galt als Einfallstor für Infektionskrankheiten aus aller Welt, die durch die Matrosen verbreitet wurden. Mit dem Standort oberhalb der Landungsbrücken, zunächst im Seemannskrankenhaus und seit 1914 im heutigen Schumacher-Bau, war das Institut perfekt positioniert: Direkt zwischen Hafen und Reeperbahn – dem zweitwichtigsten Infektionsherd.

Porträt von Professor Jürgen May im grauen Anzug mit verschränkten Armen vor dunklem Hintergrund.
BNITM-Vorstandsvorsitzender Professor Jürgen May

Aktuelles Forschungsfeld 

Hamburg News: Heute ist das BNITM als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft sowie durch Kooperationen mit Instituten in aller Welt, etwa der Weltgesundheitsorganisation (WHO), breit aufgestellt. Können Sie Ihr Forschungsfeld knapp umreißen? 

Prof. Jürgen May: Das beginnt mit Grundlagenforschung, bei der wir etwa im Center for Structural Systems Biology (CSSB) in der Science City Bahrenfeld Zugang zu den weltweit besten Bildgebungsverfahren haben, um Krankheitserregern auf atomarer Ebene nachzuforschen, und reicht bis zur Implementationsforschung. Dabei geht es um Frage: Warum versagen manchmal Impfstoffe, Medikamente oder andere Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung – und wie können wir das ändern?

Hamburg News: Und wie ließe sich das ändern? 

Prof. Jürgen May: Dazu verfolgen wir neue Forschungsansätze, wie in der Medizinanthropologie, Gesundheitskommunikation aber auch Gesundheitsökonomie, um herauszufinden, wie sich knappe Mittel zur nachhaltigen Verbesserung von Gesundheitssystemen einsetzen lassen. Das betrifft Länder des globalen Südens, aber auch unsere Breiten. Zusätzlich geht es um globale Ungleichheit – letztlich ein Risiko für alle.

Nahaufnahme einer Asiatischen Tigermücke, die an einem roten, behaarten Objekt hängt.
Kann Erreger wie Dengue-, Chikungunya- und West-Nil-Viren übertragen: die Asiatische Tigermücke

Stechmückenforschung wichtiges Forschungsfeld

Hamburg News: Bislang unbekannte Überträger finden sich nun auch in unseren Breiten. Wie gefährlich ist beispielsweise die Tigermücke?

Prof. Jürgen May: Viele Krankheiten finden in Zeiten des Klimawandels und der Globalisierung den Weg zu uns. Tatsächlich ist die Stechmückenforschung ein wichtiges Forschungsfeld. Aufgrund steigender Temperaturen, milder Winter und veränderter Niederschlagsmuster finden sich Arten zunehmend in gemäßigten Zonen, die bislang nur in tropischen und subtropischen Regionen heimisch waren. Dazu gehört auch die Asiatische Tigermücke, die Erreger wie Dengue-, Chikungunya- und West-Nil-Viren übertragen kann.

Hamburg News: Wie wird diese Entwicklung am BNITM erforscht? 

Prof. Jürgen May: Ein Ansatz für die schnellere Identifizierung ist die Stechmückenbestimmung durch Mustererkennung mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei wird die Flügelzeichnung und der spezifische Sound, den Mücken beim Fliegen machen, analysiert. Auch die genetische Sequenzierung hilft bei der Einordnung der jeweiligen Mückenart. Die Moskitos und die Erreger selbst werden in unseren Laboren erforscht.

Wissenschaftler in Schutzanzug untersucht Probe unter Mikroskop mit Pinzette in Laborumgebung.
In den Hochsicherheitslaboren des BNITM wird an Organismen der höchsten biologischen Risikogruppe (Ebola, Marburg, Krim-Kongo und Lassa-Virus) geforscht.

One Health-Ansatz

Hamburg News: Das BNITM verfügt über Labore mit Sicherheitsstufe BSL-4 (Biosafety Level 4), oder?

Prof. Jürgen May: Die kommen aber nicht bei der Erforschung von Dengue-, Chikungunya- und West-Nil-Viren zum Einsatz. Die Hochsicherheitslabore sind für hochpathogene Erreger reserviert, wie Ebola-, Marburg- oder Lassa-Virus. Das sind Krankheiten, die lebensbedrohlich und leicht übertragbar sind und für die wir meist noch keine etablierten Therapien oder Impfstoffe haben. Um auf Ausbrüche von schwerwiegenden Infektionskrankheiten schnell reagieren zu können, unterhält das BNITM zudem eine Reihe mobiler Labore und engagiert sich in der Weiterbildung in verschiedenen Ländern des Globalen Südens zu Themen wie Infektionskontrolle, globale Gesundheit oder One Health.

Hamburg News: Was bedeutet One Health? 

Prof. Jürgen May: Wir dürfen Gesundheit nicht mehr ausschließlich auf den Menschen bezogen denken, sondern müssen Human-, Tier- und Umweltgesundheit vor dem Hintergrund von Zoonosen, antimikrobiellen Resistenzen und Klimawandel zusammenführen. Die Covid-19-Pandemie hat uns gezeigt, wie eng die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen miteinander verflochten ist. Dazu kommt: Antibiotikaresistenzen gelten inzwischen als ‚stille Epidemien‘ und die Ursachen liegen etwa im Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung, aber auch in der weltweiten Verbreitung resistenter Erreger durch den globalen Reise- und Handelsverkehr. Oder wir versuchen dem Verlust der Biodiversität durch die Einschränkung von Insektiziden etwas entgegenzusetzen, stärken damit jedoch wiederum die Stechmückenpopulation. Solche Wechselwirkungen betrachten wir beim ‚One-Health-Ansatz‘. Und mit ‚One Digital Health‘ werden wir auch in unserem neuen Data Science Centre den Fokus auf diesen Ansatz legen.

Data Science Centre

Hamburg News: In diesem Zentrum werden Sie die digitale Infektionsforschung vorantreiben? 

Prof. Jürgen May: Genau. Das Zentrum ist am 1. September 2025 mit der Abteilung Computational Infection Biology, unter der Leitung von Professor Thomas Otto, gestartet. Wir verfügen aus der Infektionsforschung über eine Fülle von Daten, die wir mit innovativen bioinformatischen Verfahren nutzbar machen wollen. Eine zweite Professur ist zu One Digital Health geplant. Durch die Kombination von KI und Bioinformatik wollen wir neue digitale Diagnostikmethoden entwickeln und die Vorhersage von Epidemien verbessern, etwa die Ausbreitung von Malaria. Durch die neuen Möglichkeiten hoffen wir auch in ärmeren Ländern echte Innovationssprünge für die Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Hamburg News: Am BNITM wurde der Standardtest zur Diagnose von Malaria entwickelt. Ist die Krankheit immer noch ein Problem? 

Prof. Jürgen May: Auf jeden Fall. Jedes Jahr sterben immer noch rund 600.000 Menschen an dieser Infektionskrankheit, vor allem Kinder unter fünf Jahren. Die Malariaforschung verfolgt das BNITM seit seiner Gründung und sie fließt ein in unsere Strategie 2030, in der wir unsere Ziele und Visionen für die nächsten fünf Jahre festlegen. Dazu gehören die Bekämpfung lokaler und globaler Epidemien, die Entschlüsselung von Strukturen und Interaktionen von Erregern sowie die Bekämpfung armutsbedingter und vernachlässigter (Tropen-)Krankheiten. Und damit sind wir leider wieder bzw. immer noch bei Malaria – auch wenn die Forschung schon große Fortschritte gemacht hat.

Hamburg News: Gibt es noch etwas, das auf Ihrer Zukunftsagenda steht? 

Prof. Jürgen May: Wir planen einen Neubau in der Science City Bahrenfeld, denn wir platzen buchstäblich aus allen Nähten. In den vergangenen fünf Jahren sind wir von 280 auf mehr als 400 Mitarbeitende gewachsen. Der denkmalgeschützte Schumacher-Bau an der Bernhard-Nocht-Straße bleibt aber erhalten und soll in den kommenden Jahren umfassend saniert werden.

Hamburg News: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
ys/kk/sb

Das Interview führte Yvonne Scheller

Quellen und weitere Informationen

BNITM

Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) ist Deutschlands größte Einrichtung für Forschung, Versorgung und Lehre im Bereich tropischer und neu auftretender Infektionskrankheiten. Schwerpunkte sind Malaria, hämorrhagische Fieberviren, vernachlässigte Tropenkrankheiten, Immunologie und Epidemiologie. Mit Hochsicherheitslaboren (BSL-4) und einem Sicherheitsinsektarium (BSL-3) ist das Institut auch für den Umgang mit hochpathogenen Erregern international führend. Die Forschung am BNITM ist in fünf Sektionen organisiert, die den gesamten Weg von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung abdecken: Pathogen (Erregerforschung), Interface (Wirt-Erreger-Interaktionen und Immunologie), Patient (klinische Forschung), Population (Epidemiologie) und Implementation (Implementationsforschung). Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft verbindet das BNITM Grundlagenforschung mit klinischer Anwendung und globaler Zusammenarbeit.

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