„Jeder neue Stadtteil muss zusammen mit den umliegenden Vierteln gedacht werden, also in diesem Fall Veddel, Wilhelmsburg, Harburg und der Innenstadt. Mit unseren Modellen führen wir Simulationen durch, um auf Fragen wie Auslastung des öffentlichen Verkehrs, Zugang zu Grünflächen oder Nachfrage nach Kita-Plätzen belastbare Antworten bereits in der Planungsphase zu bieten“, erklärt Professorin Gesa Ziemer, Direktorin des City Science Labs und akademische Leiterin des UNITAC, einem Technologie-Lab der Vereinten Nationen. Beim Projekt Grasbrook kommt zudem eine lagebedingte Besonderheit hinzu. Auf der südlichen Elbseite gelegen konzentriert sich die Anbindung von der Hamburger City aus vor allem auf Elbtunnel und Elbbrücken. Nicht ideal für den Individualverkehr, weiß Ziemer. „Es wird über alternative Lösungsansätze nachgedacht, wie beispielsweise Sharing-Angebote in der Tiefgarage, die gleich in den Mietvertrag inkludiert sind.“ So wachse die Mobilitäts- und die Immobilienindustrie zusammen und biete attraktive Mobilitätsangebote im Quartier und den angrenzenden Vierteln.
Im Westen entsteht auf einem ehemaligen Güterbahnhof das neue Quartier Mitte Altona, im Osten mit Oberbillwerder Hamburgs 105. Stadtteil und im Herzen der Stadt wird auf ehemaligen Hafenflächen des Grasbrook ein neues Viertel zum Wohnen und Arbeiten geschaffen. Wobei gut die Hälfte des Kleinen Grasbrook in Hafennutzung verbleibt, was Stadtentwickler vor die Herausforderung stellt, Verkehrs- und Lärmbelästigung des ansässigen Gewerbes mit dem Alltag der neuen Nachbarn in Einklang zu bringen. Gemeinsam haben alle großen Stadtentwicklungsprojekte, dass sie zum Modell für eine lebendige Mischung aus Büros und Wohnen werden sollen. Damit das klappt, greift die Stadt auch auf die Unterstützung des City Science Lab der HafenCityUniversität zurück. Für das Projekt Grasbrook wurde etwa das interaktive Stadtmodell CityScope entwickelt – in Kooperation mit dem MIT Media Lab des Massachussetts Institute of Technology und der HafenCity Hamburg GmbH (HCH).
Mobilitäts- und Immobilienindustrie wachsen zusammen
Was wird wo und wann gebraucht?
Sharing-Angebote wiederum rechnen sich erst ab einer gewissen Anwohnerzahl. Stadtentwickler müssen somit die Größe neuer Quartiere gut planen. Auch dabei helfen die Simulationen des CityScienceLab. Oder wenn es zur Schaffung neuen Wohnraums um das Thema Verdichtung geht. „Mit unseren Tools lässt sich die Situation in Hamburg sehr genau mappen: Wie wirken sich Faktoren wie Verdichtung oder auch die Zunahme des Tourismus aus? Mit der Software CoSi können wir beispielsweise Flächendaten mit sozialen Daten verknüpfen und genau aufzeigen, wie sich Stadtteile entwickeln.“ Das geschieht einerseits durch die Entwicklung von Experten-Tools für Stadtentwickler, die auf Daten basieren, die dem Datenschutz unterliegen und daher nicht öffentlich zugänglich sind. Andererseits mit Beteiligung der Bevölkerung. „Dazu bieten wir öffentliche Tools an, wie das Digitale Beteiligungstool DIPAS, in Kooperation mit der Behörde für Stadtentwicklung, in die Menschen ihre Kommentare eintragen können. Mit diesen Informationen lassen sich beispielsweise Carsharing-Angebote oder die Gestaltung des öffentlichen Raumes optimieren, denn wir wissen, wo etwa Fahrrad-Stationen gebraucht werden oder wo Buslinien hinzulenken sind.“
Einsatz von Machine Learning
Zur Auswertung von ‚Bürger-Daten‘ setzen Ziemer und ihr Team auch auf Machine Learning (ML). Gerade bei der Entwicklung neuer Stadtteile gibt es in Kooperation mit der Stadtwerkstatt Informationsveranstaltungen und Beteiligungsformate, um die Bevölkerung in der Planungsphase zu integrieren. „Bei Bürgerbeteiligungen kommen schon mal 3.000 Kommentare zusammen“, erläutert Ziemer. Die Auswertung geschieht dann per Spracherkennung. „Dabei erkennt ML die Häufung bestimmter Begriffe, wie ‚Verkehr‘, ‚Grünflächen‘ oder beim Projekt Grasbrook ‚Lebensqualität am Wasser‘. Aus dieser Clusterbildung kann das System ableiten, was den Menschen heute am Herzen liegt und darauf aufbauend Prognosen erstellen.“
Antworten auf humanitäre Fragen weltweit
Vor allem aber basieren viele Simulationen des City Science Labs auf der Auswertung hochgenauer Kartendaten. „Wir arbeiten stark mit geobasierten Daten“, erklärt Ziemer. „Der Landesbetrieb Geoinformation stellt gutes Kartenmaterial für Hamburg zur Verfügung – auch gerade wegen der verschiedenen Entwicklungsprojekte in der Stadt.“ Dank der guten Datenlage lassen sich Prognosen immer besser erstellen. „Wir können innerhalb von ein bis zwei Tagen Daten zueinander in Bezug setzen und so im Grunde viele Fragen schnell beantworten und auch auf Karten visualisieren.“ Die erfolgreiche Arbeit des City Science Lab sorgt für internationale Aufmerksamkeit. „Unsere Herangehensweise ist zum Beispiel auch auf die vielfältigen Herausforderungen im globalen Süden anwendbar“, so Ziemer. „Hamburg übernimmt bereits eine Vorreiterrolle für Deutschland bei den Vereinten Nationen hinsichtlich einer Technologie, um Lösungsansätze für humanitäre Fragen zu entwickeln. Also etwa den Umgang mit informellen Siedlungen oder Klimakatastrophen.“ So wirkt das City Science Lab weit über die Tore Hamburgs hinaus.
ys/kk