„Die Energieversorgung eines ganzen Stadtteils durch die Nutzung von Abwasserwärme ist ein Novum“, erklärt Karen Pein, Geschäftsführerin der IBA Hamburg. „Am Anfang stand eine Potenzialanalyse: Was für lokale Energiequellen können wir nutzen? Dabei haben wir uns zunächst auf zwei potenzielle Quellen konzentriert, die Schlickdeponie Feldhofe in Bergedorf und den großen Abwasserkanal, der durch die Vier- und Marschlande bis in den Hamburger Hafen führt und in den locker ein kleiner Smart passen würde.“ Da die weitere Entwicklung der Schlickdeponie Feldhofe noch nicht abschließend geklärt ist, fiel die Entscheidung nicht schwer, das Wärmepotenzial im Abwasser zu nutzen. Die Technik der Abwasserwärmenutzung hat sich bereits als zukunftsweisende Methode zur Nutzung des energetischen Potenzials von Wasser erwiesen, wurde in einem solchen Maße jedoch noch nicht umgesetzt.
Im Osten der Stadt, im Bezirk Bergedorf, entsteht Hamburgs 105. Stadtteil Oberbillwerder. Eine heute noch landwirtschaftlich genutzte Fläche – 118 Hektar groß – wird komplett neu gedacht: Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeit. Und: Oberbillwerder soll zu 100 Prozent mit regenerativ erzeugter Wärme versorgt werden. Bis zu 90 Prozent davon sollen vor Ort produziert werden, was eine klimaneutrale und CO2-freie Wärmeversorgung der zukünftigen Bewohner*innen ermöglicht. Das ehrgeizige Ziel wird in Kooperation mit KpHG Kommunalpartner Hamburg GmbH verfolgt, im April wurde die Vergabe des Wärme- und Kältekonzessionsvertrags durch die IBA Hamburg GmbH verkündet. Im Zentrum des Energieversorgungskonzepts steht die Nutzung von Abwasserwärme.
Oberbillwerder: Nutzung lokaler Energiequellen
Strom für Wärmepumpen liefern Photovoltaikanlagen
„In Oberbillwerder wird dies nun unsere wesentliche Energiequelle. Ein Biomethan-Kessel sowie eine Power-to-Heat Anlage sind als ergänzende Absicherungsmaßnahmen geplant.“ Das Abwasser werde als Wärmequelle für Wärmepumpen genutzt, die eine Wärme-Kälte-Kopplung ermöglichen. So ist für warme Wohnungen ebenso gesorgt, wie für die nötige Kühle in Büros oder Supermärkten. „Der Strom für die Wärmepumpen wird durch Photovoltaikanlagen erzeugt“, führt Pein fort.
„Dieser Ansatz bietet eine hohe Versorgungssicherheit und Preisstabilität, ein Thema, das nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine für uns relevant ist.“ Schließlich soll Oberbillwerder ein lebendiger Stadtteil für Jedermann werden. 6.000 bis 7.000 Wohneinheiten – ein Mix aus Eigentums- und Mietwohnungen sowie Angeboten für Baugemeinschaften – und 4.000 bis 5.000 Arbeitsplätze sind geplant.
Großes fachliches Interesse
Erste Erschließungsarbeiten sind für Anfang 2024 geplant, der Hochbau könnte zwei Jahre später starten. „Seit unserer Pressekonferenz besteht ein großes fachliches Interesse“, sagt Pein. Die Entwicklung eines möglichst klimaneutralen Stadtteils sorgt für Aufmerksamkeit. Weitere Ansätze sind Gründächer und Fassadenbegrünung – beides auch Maßnahmen, um mögliche Aufheizungen im Viertel abzupuffern.
Pufferflächen sind zudem vorgesehen, um Regenwasser zurückhalten zu können, selbst im Falle von Starkregenereignissen. Dass am Ende alles so umgesetzt wird wie geplant, dafür sorgt Lina Boysen, bei der IBA Hamburg verantwortlich für das Nachhaltigkeitsmanagement und die Steuerung des Vergabeverfahrens.
Nachhaltiges Bauen im Fokus
„Wir arbeiten bei unseren Konzessionsnehmern mit ‚flexiblen Verträgen‘, wie wir es nennen“, erzählt sie. „Es geht darum, sich eine möglichst große Innovationsoffenheit auch während der gesamten Umsetzungsphase zu erhalten.“ So werde kontinuierlich geprüft, ob Nachsteuerungsbedarf bestehe. „Vor allem aber schauen wir, ob es vielleicht neue Forschungserkenntnisse gibt, durch die sich unsere Ziele noch besser realisieren lassen.“ Immerhin verfolge die IBA Hamburg den Anspruch, nach dem Besten zu streben, betont Pein. „Wir haben von Anfang an ein Konzept zum besonders nachhaltigen Bauen verfolgt und wurden dafür 2019 von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen mit dem Vorzertifikat in Platin bewertet.“ Das Konzept nun durch die Vertragsunterzeichnung in die Umsetzung zu bringen, macht sowohl Pein als auch Boysen stolz.
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