Metropolregion

Gründer-Idee: Sprachbarrieren überwinden und Leben retten

5. November 2020
Metropolregion: Startup aidminutes entwickelt mit multilingualem Team zukunftsweisende eHealth-Lösungen

Sprachbarrieren beim Arztbesuch können ernste Folgen haben, wenn wichtige Informationen über Symptome, Vorerkrankungen oder eingenommene Medikamente fehlen. Wenn dann noch, wie in der Notfallmedizin, jede Minuten zählt, führt das zu einer weiteren Steigerung des Risikos. „Im medizinischen Notfall sind gesicherte Informationen lebenswichtig“, sind die Gründer von aidminutes überzeugt. Das Startup mit Sitz in Buchholz und Büros in Hamburg und Kiel – je nach Standort der drei Geschäftsführer Boran Burchhardt, Andreas Lippke und Andreas Barth – hat sich auf medizinische Kommunikationslösungen spezialisiert, die es ermöglichen sollen, schnell und mit großer Übersetzungsgenauigkeit Sprachbarrieren zu überwinden.

Um Covid19-Fragen ergänzt

Mit ihrer Anamnesis.app sowie der Rescue.app will aidminutes allen Menschen einen sprachlichen Zugang zum Gesundheitssystem ermöglichen. Aus aktuellem Anlass wurde die Rescue.app um Covid19-Fragen ergänzt, die es ermöglichen, bei Verdachtsfällen relevante Informationen an das zuständige Krankenhaus weiterzuleiten und entsprechende Maßnahmen bereits vor Eintreffen in der Klinik einzuleiten. „Für die Rescue.app haben wir medizinisches Wissen und die sich daraus ergebenden Fragen der Einsatzkräfte in Ja/Nein-Fragen umstrukturiert. Diese Fragen sind aktuell in etwa 30 Sprachen verfügbar, bis 2021 wollen wir auf mehr als 60 Sprachen kommen“, erläutert Mitgründer Boran Burchhardt. Über 250 Fragen wurden so in enger Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Göttingen und dem Malteser Hilfsdienst im Rahmen einer medizinischen Studie entwickelt und nach fachlichen Gesichtspunkten, wie Dringlichkeit oder Häufigkeit, sortiert und kategorisiert, um in Sekundenschnelle aufrufbar zu sein.

Boran Burchhardt, Mitgründer aidminutes

Einfache Handhabung

Während bei der Rescue.app das Tablet von Einsatzkräften der Rettungsdienste gehandhabt wird, liegt die Nutzung der Anamnesis.app direkt in den Händen der fremdsprachlichen Patienten. Umso wichtiger ist die multimediale Ansprache und intuitive Benutzbarkeit, betont Burchhardt. „Die Handhabung ist extrem einfach gehalten, so dass auch Patienten, die noch nie ein Tablet in der Hand hatten, damit umgehen können. Tatsächlich gelang das auf Anhieb bei 85% der Nutzer.“ Neben der technischen Hürde soll jeder ungeachtet seines Bildungsgrades integriert werden: Vom Analphabeten bis zum Hochschulabsolventen. Darum gibt es neben schriftlichen Fragen auch Bilder und Audioelemente, um den Hintergrund für den Arztbesuch möglichst genau zu klären.

„Wir setzen auf eine menschlich kluge Verknüpfung von Folgefragen, um eine größtmögliche medizinische Genauigkeit zu erhalten“, erläutert Burchhardt. „Dazu haben wir komplexe Algorithmen entwickelt, um die gesamte Bandbreite des modernen Praxisalltags abzubilden und dabei notwendige von nicht notwendigen Fragen in Bezug auf die aktuelle Behandlung trennen zu können.“

Lösung verspricht Zeitersparnis

Die Applikationen sind in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Medizinern unterschiedlicher Fachbereiche entstanden – von Allgemeinmedizin oder Innerer Medizin, über Gynäkologie und Pädiatrie bis zur Psychologie. Neben der fachlichen Expertise sind kulturelle Aspekte sowie die Berücksichtigung von Alter und Geschlecht in die Gestaltung eingeflossen, um eine möglichst individuelle Ansprache zu gewährleisten. „Wir wollten nicht nur eine kluge Übersetzungs-App entwickeln, sondern einen Brückenschlag zwischen Patienten und Medizinern ermöglichen, der zum einen den Weg für eine gute Behandlung ebnet, zum anderen eine Zeitersparnis im Gesundheitswesen bietet.“ Denn die Bereitstellung aller für die Behandlung relevanter Informationen führe zu einem deutlichen Zeitgewinn, ist Burchhardt überzeugt.

Kooperation mit Leuphana Universität

Die Zeitersparnis und damit verbundene Kostensenkung hat aidminutes beim Durchlaufen klinischer Studien nachgewiesen. „Den Prototyp für unsere Anamnesis.app haben wir 2014 in Kooperation mit der Leuphana Universität in Lüneburg entwickelt. 2017 folgte die erste klinische Studie in Kooperation mit der Universitätsmedizin Göttingen im allgemeinmedizinischen Setting mit einer heterogenen, rein fremdsprachigen Patientengruppe, angesiedelt im Grenzdurchgangslager Friedland“, so Burchhardt. Überraschend selbst für das Startup: Es gab weltweit keinen vergleichbaren Ansatz. „Auch nicht in Ländern wie den USA oder Japan. Als Folge erhielten wir schnell Anfragen zur Zusammenarbeit, etwa aus Michigan oder Kalifornien“, so Burchhardt.

Von Ethikkommission freigegeben

Eine zweite klinische Studie ist im Mai gestartet – in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung sowie der Universitätsmedizin Göttingen und gefördert vom GBA-Innovationsfond. „Von Anfang an ging es uns darum, unsere Kommunikationslösung besonders wissenschaftsnah zu entwickeln, dabei aber den Fokus auf Alltagstauglichkeit zu legen.“ Tatsächlich habe die Zusammenarbeit mit den Hochschulen aidminutes aktuell bereits ganz praktisch geholfen. „Die Verwendung unserer Apps wurde von der Ethikkommission der Universitätsmedizin Göttingen freigegeben. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass unsere Websites und Apps DSGVO-konform sind und das hat uns den Zugang zu den App-Stores von Apple und Google gesichert“, erzählt Burchhardt. Um unseriösen Angeboten keine Plattform zu bieten, hatten nämlich Google und Apple eine generelle Sperre für Angebote von COVID-19-Anwendungen seitens Privatunternehmen erteilt. „Nur dank unserer Studien-Partner konnten wir die nötige hohe Seriosität belegen und können nun von dort aus zentral heruntergeladen werden.“
ys/kk

Quellen und weitere Informationen

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