e-Commerce

So treibt die Otto-Group die Digitalisierung voran

17. September 2020
Digitalexpertin Dr. Hanna Huber über das ‚Race for Technology‘, Künstliche Intelligenz und digitales Mittagessen bei Otto

Die Corona-Pandemie hat Deutschland einen digitalen Schub beschert. Doch bereits Ende 2019 hatte die Otto Group ihr Ziel, ein voll digitalisiertes Handels- und Dienstleistungsunternehmen zu werden, bekräftigt und dazu Dr. Hanna Huber an Bord geholt. Für die Digitalexpertin wurde eigens die Position Group Vice President Technology Strategy and Governance geschaffen. 

Dr. Hanna Huber studierte Electronic Business an der Universität der Künste Berlin, promovierte in Publizistik- und Kommunikationswissenschaften zum Thema Innovationsdiffusion und wechselte von der Berliner OnlineFashion-Plattform Zalando zur Otto Group. Im Interview mit Hamburg News berichtet Huber über das ‚Race for Technology‘, KI und digitale Mittagessen bei der Otto Group.

Hamburg News: Liebe Frau Dr. Huber, die Otto Group will zu einem voll digitalisierten Handels- und Dienstleistungsunternehmen werden. Wie digital ist die Otto Group bereits?

Dr. Hanna Huber: Grundsätzlich gilt: Digitalisierung ist ein nie endender Prozess. Die Otto Group selbst ist neuen Technologien immer schon zugewandt gewesen. Mit dem Siegeszug des Internets ab Mitte der 1990er-Jahre ist das Digitalgeschäft allerdings raketenhaft zur relevanten Ertragssäule avanciert.

Dr. Hanna Huber, Group Vice President Technology Strategy and Governance

Zudem hat der Konzern über die Jahre eine enorme Expertise aufgebaut, mit der uns das Adaptieren neuer Trends und Technologien eher leichtfällt. Last but not least haben wir mit weltweit rund 50 Millionen aktiven Kunden viele Daten, die uns dabei helfen, passgenaue Angebote und Kampagnen auszuspielen. Mit Erfolg: Unsere Handelsmarken OTTO und About You, um mal zwei konkrete Beispiele zu nennen, betreiben einen hohen Aufwand im Bereich der Marketing-Automation, der sie zu ausgewiesenen Marktführern in diesem Bereich macht. Erfolgreiche Digitalisierung ist also die Summe vieler einzelner Teile. Gleichzeitig ist und bleibt es aber ein ‚Race for Technology‘, in dem wir uns nicht nur am Wettbewerb, sondern auch an unseren eigenen Prozessen messen lassen müssen. In beiden Bereichen ist immer Luft nach oben.

Hamburg News: Für Sie wurde eigens eine neue Position geschaffen. Was tut eine Group Vice President Technology Strategy & Governance?

Dr. Hanna Huber: Meinen Job kann man gut mit dem einer Fluglotsin vergleichen: Meine Aufgabe ist es, alle Technologieprojekte innerhalb des Konzerns zu überblicken und im wahrsten Sinne des Wortes in die richtigen Bahnen zu lenken. Dies impliziert den Austausch mit den relevanten Entscheider*innen im Unternehmen, das Aufsetzen von Standards und natürlich auch das Erfolgsmonitoring. Die größte Bremse in einem Digitalisierungsprozess sind redundante Prozesse – hier versuche ich frühzeitig entgegenzuwirken, um nicht zuletzt Zeit einzusparen. Denn wie ich ja eben schon gesagt habe, sind wir in einem sehr schnelllebigen Wettbewerbsumfeld unterwegs, das in Sachen Tempo nur wenig Spielraum lässt.

Hamburg News: Welche Erfolgserlebnisse konnte die Otto Group bei seinem Digitalkurs bereits verzeichnen…

Dr. Hanna Huber: Im Bereich der Standardisierung haben wir in den letzten zwei Jahren enorme Schritte nach vorne gemacht – und das aus eigener Kraft heraus. Konkret treiben wir gerade einen einheitlichen Tech-Stack, also eine Lösungsumgebung, für den E-Commerce voran, an den sukzessive mehrere Gruppenfirmen angedockt werden. Gerade für 'kleinere' Konzerngesellschaften mit reduzierteren Tech-Teams ist dies enorm hilfreich, da sie von einer modernen Weiterentwicklung profitieren, aber diese Kompetenzen nicht selbst vorhalten müssen und sich somit auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Eine wesentliche Komponente dieses Tech-Stacks ist die About You Cloud, deren Lösungen schon mehrere Otto Group Shops einsetzen. Wir nutzen also moderne Technologien und Kompetenzen einzelner Konzernunternehmen und lassen unsere anderen Companies daran partizipieren.“

Hamburg News: …und mit welchen Herausforderungen gehen Sie um?

Dr. Hanna Huber: Unsere Dezentralität ist die vielleicht größte Herausforderung der Otto Group, gleichzeitig aber auch eine unserer größten Stärken. Aus technologischer Sicht bedeutet es jedoch viel Arbeit – gerade, wenn es um das eben umrissene Streben nach Standardprozessen und Geschwindigkeit geht. Bei über hundert Handelsmarken haben wir es mit teilweise sehr unterschiedlichen Geschäftsmodellen – und damit teilweise recht heterogen Zielen – zu tun, was sich auch im technologischen Setup widerspiegelt. Diese verschiedenen Sichtweisen zusammen zu bringen und gute Entscheidungen zu treffen, von denen wir als Gruppe profitieren, erfordert, dass wir viel miteinander reden und gemeinsam Lösungen finden. Daher bilden wir für jedes Thema ein Team, bestehend aus Vertretern unterschiedlicher Konzernunternehmen, die dann gemeinsam Lösungsoptionen erarbeiten und bewerten.

Hamburg News: Deutschland hat während des Corona-Lockdowns einen Digitalisierungsschub erlebt. Konnte die Otto Group einen Umsatzschub verzeichnen und vielleicht neue – ältere – Zielgruppen erschließen?

Dr. Hanna Huber: Natürlich hat Corona unmittelbaren Einfluss auf unser Geschäft genommen. Gerade in den Monaten März und April, als der Lockdown im spürbarsten war, haben bei Angebot und Nachfrage teilweise unglaubliche Verschiebungen stattgefunden. Wir konnten sehen: Das Verlangen nach neuer Kleidung war beim Verbraucher extrem niedrig, während Artikel des täglichen Bedarfs, darunter Rasierapparate, Wohnaccessoires oder Sportgeräte, extrem hoch im Kurs standen. Die Prioritäten haben sich bei den Konsument*innen teilweise stark verschoben. Das konnten wir durch unser breites Sortiment gut auffangen und folglich über alle Altersstrukturen hinweg zahlreiche Neukund*innen gewinnen – natürlich auch, weil der Online-Handel das kontaktlose Einkaufen ermöglicht.

Eingangsbereich Konzernzentrale Otto Group

Zudem waren zahlreiche Stationärgeschäfte über Wochen geschlossen, was über den digitalen Vertriebsweg kompensiert werden musste. Erfreulicherweise hat dies die allgemeine Retourenquote nicht erhöht, im Gegenteil: Sie ist bei einzelnen Unternehmen sogar um fünf Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Von einem Umsatzschub zu sprechen, wäre allerdings stark verfrüht. Um es mit den Worten von Otto Group CEO Alexander Birken zu sagen: ‚Wir glauben, dass wir das schwierige Geschäftsjahr 2020/21 gut meistern werden und blicken respektvoll optimistisch in die Zukunft‘.

Hamburg News: Auf dem Weg in eine digitale Zukunft ist die Mitnahme der eigenen Mitarbeiter besonders wichtig. Welche Erfahrungen die Otto Group mit Homeoffice, Videokonferenzen und anderen digitalen Tools sammeln können?

Dr. Hanna Huber: Der Umstieg auf kollaborative Cloud-Technologie vor gut zwei Jahren hat uns geholfen, schnell zu reagieren und einen Konzern nahezu flächendeckend in den mobilen Arbeitsmodus zu versetzen. Eine gewisse Remote-Work-Kultur war also vor Corona schon da, obgleich wir natürlich noch lernen mussten vor allem Besprechungen in größeren Runden zielführend umzusetzen. Hierfür haben wir aber tolle Moderationsmethoden gefunden, die mittlerweile State-of-the-Art sind. Unterm Strich haben wir unsere Informationsflüsse teilweise sogar etwas verbessern können. So werden beispielsweise Mitarbeiter*innen per Videostream vom Vorstand sehr engmaschig über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten. Und auch das Mittagessen hat sich digitalisiert: Statt in der Kantine trifft man sich jetzt vorm Bildschirm zum Remote Lunch. Dennoch ist das Ziel, sukzessive auch wieder einer größeren Zahl von Kolleg*innen eine Rückkehr an die jeweiligen Betriebsstätten zu ermöglichen. Hierfür entwickeln die Konzerngesellschaften solide Hygienekonzepte – wohlwissend, dass das mobile Arbeiten im Wechsel mit Präsenzphasen auf Dauer Teil unseres Alltags sein wird.

Hamburg News: Welche Rolle spielen Technologien wie KI und VR bei der Otto Group?

Dr. Hanna Huber: Entscheidend ist immer die Frage: Kann eine Technologie ein Kundenproblem lösen? Sicherlich klingen viele Konzepte auf dem Papier vielversprechend und zukunftsweisend, doch am Ende sind andere Lösungen dann doch relevanter. KI, Blockchain oder VR schließen pauschal keine Lücken in der Customer Journey. Für uns bedeutet das, sehr genau zu schauen und zu testen, wo der Einsatz sinnvoll ist und wo nicht. Ein Beispiel ist Natural Language Processing, ein Teilbereich der KI: Bei unserem Logistikunternehmen Hermes hat sich der virtuelle Assistent im Customer Support als wahrer Effizienzbooster entpuppt, denn die Servicemitarbeiter*innen können sich nun viel besser den beratungsintensiven Vorgängen widmen, während sich der Algorithmus Anliegen wie beispielsweise der Sendungsverfolgung widmet. Wenn es um Zustellung geht, folgen viele Kundenanfragen nämlich stets dem gleichen Muster. Grundsätzlich sind Technologien interessant, mit denen sich manuelle Prozesse automatisieren lassen: Process Mining und Robotic Process Automation etwa – zwei Themen, die in der Öffentlichkeit noch gar nicht so wahrgenommen werden.
ys/kk

Hamburg News: Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Das Interview führte Yvonne Scheller

Quellen und weitere Informationen

1949 in Hamburg gegründet, ist die Otto Group heute eine weltweit agierende Handels- und Dienstleistungsgruppe mit knapp 52.500 Mitarbeitern. Der Konzern ist in 30 wesentlichen Unternehmensgruppen in mehr als 30 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas und Asiens präsent. Die Geschäftstätigkeit der Otto Group erstreckt sich auf drei Segmente: Multichannel-Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Service. Im Geschäftsjahr 2019/2020 erwirtschaftete der Konzern einen Umsatz von 14,3 Milliarden Euro (Onlineumsatz: 8,1 Milliarden Euro). Zur Otto Group gehören u. a. das Fashion-Tech-Startup About You, das als erstes Unicorn aus Hamburg gilt, und der konzerneigene Companybuilder Otto Group Digital Solutions.

Ähnliche Artikel

Immer mehr Unternehmen setzen auf Datenminimalismus

Daten sind das Gold der Zukunft. Doch nicht immer führen immer mehr Daten zu immer besseren Ergebnissen. Der CIO der Otto Group im Interview

Wie die Otto Group gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen will

Bilanz 2019/20 vorgestellt. Digitalisierung, New Work, Nachhaltigkeit – So will der Hamburger Konzern in Corona-Zeiten wettbewerbsfähig bleiben

Christoph Wöhlke: Auswirkungen der Digitalisierung bedenken

Unsere Welt ist individueller denn je – auch dank der Digitalisierung, so Budnikowsky-CEO und Vorsitzender des Innovations-Boards im Square

Video-Reihe „Future Hamburg Talk" meets ... Tarek Müller

4-teilige Video-Interview-Serie über Hamburgs Macher*innen und Visionär*innen. Teil 2 mit About You Gründer Tarek Müller
Die von uns eingesetzte Consent Management Plattform (https://app.usercentrics.eu/) konnte nicht geladen werden. Dies kann passieren, wenn AdBlocker diese URL fälschlicherweise blockieren. Einige Funktionen, wie z.B. Kartendarstellungen, Umkreissuchen oder Formulare, können so nicht verwendet werden. Um diese Funktionen benutzen zu können, deaktivieren Sie bitte Ihren AdBlocker oder erlauben Sie den Zugriff auf *.usercentrics.eu.