Timing ist alles. Die Idee kann noch so clever sein und scheinbar das Potential haben, die Welt aus den Angeln zu heben – wenn die Zeit nicht reif ist, hat die Innovation keine Chance. Tatsächlich scheitern 80 bis 90 Prozent aller Innovationsversuche. „Erfolg“, so Technikhistoriker Reinhold Bauer, „ist die Ausnahme bei der Entwicklung neuer technischer Produkte“. Allerdings muss der Fehlschlag keineswegs von Dauer sein. Manche Ideen erleben eine Renaissance – was allerdings dem Unternehmen, das die Innovation auf den Weg gebracht hat, in der Regel wirtschaftlich nichts mehr nützt.
Und genau daran orientiert sich Reinhold Bauer bei seiner Definition des Scheiterns. „Nur wenn die Innovation ihre Entwicklungskosten reingeholt hat, war das Projekt ein Erfolg.“ Die Gründe für Misserfolge liegen allerdings keineswegs nur im Timing. Eine Top-5-Typologie des Scheiterns, „die sich wie ein wiederkehrendes Muster durch die gesamte Wirtschaftsgeschichte zieht“, stellte der Wissenschaftler, der zu dem Thema an der Helmut-Schmidt-Universität habilitiert hat, Ende März im Körberforum in der Hafencity vor.
Typ 1: Innovationsversuche, die an technischen Problemen scheitern
Der frühe Zeppelin, zunächst als Revolution in der Luftfahrt gefeiert, war schlicht zu gefährlich. Das von einer Gasfüllung getragene und von Propellern angetriebene Luftschiff war zudem schwer zu steuern und anfällig gegen Stürme und Seitenböen. Die Katastrophe der “Hindenburg” 1937 in Lakehurst bei New York bedeutete das Aus des Starrluftschiffs. Die Wasserstofffüllung hatte sich entzündet und das Unglück forderte 35 Todesopfer. Auch der erneute Versuch mehrere Jahrzehnte später scheiterte. Die Cargolifter AG wollte mit dem Frachtzeppelin „Cargolifter“ schwere Lasten transportieren – bis zu 160 Tonnen Fracht waren geplant. 1996 gegründet, musste das Unternehmen in Brandenburg 2002 Insolvenz anmelden. Die immer wieder auftretenden Kostensteigerungen innerhalb des technischen Entwicklungsprojekts konnten trotz erheblicher staatlicher Fördermittel nicht aufgefangen werden. Was blieb, ist eine riesige Werfthalle, die immerhin als größtes freitragendes Gebäude der Welt gilt, und heute als tropischer Freizeitpark genutzt wird.
Typ 2: Innovationsversuche, die aufgrund der spezifischen Konkurrenzsituation scheitern
Die Technologie des Transrapids ist im Grunde faszinierend und verhieß als ´Wunderwerk Deutscher Ingenieurskunst` einst große Hoffnungen. Eine bis zu 500 km/h schnelle-Magnetbahn würde die Strecke Hamburg Berlin locker in einer Stunde schaffen, glaubten die Befürworter der neuen ´Zukunftstechnologie`. Doch die Entwicklung dauerte Jahrzehnte und als der Transrapid schließlich auf den Markt kam, hatte er gegen die inzwischen erfolgte Expansion des Flugverkehrs und die Weiterentwicklung des Rad-Schiene-Konzepts mit dem schnellen ICE in Deutschland keine Chance mehr. Stattdessen ist er seit 2004 auf einer Strecke von 30 Kilometern zwischen dem Flughafen Pudong und einer Metrostation in Shanghai in Betrieb – doch auch die Hoffnungen auf lukrative Folgeaufträge aus dem Reich der Mitte erfüllten sich nicht.
Typ 3: Innovationsversuche, die aufgrund einer Fehleinschätzung der potentiellen Nutzer scheitern
Speisen und Getränke mithilfe eines elektromagnetischen Feldes binnen Minuten zu erhitzen war eine grandiose Idee. Doch als „Radarange“ 1947 auf den Markt kam, war der erste Mikrowellenherd ein Riesenflop. Abgesehen davon, dass er teuer und mit einer Größe von knapp 1,80 Metern und einem Gewicht von 340 kg unhandlich war, hatte Kochen in Handarbeit damals noch einen anderen Stellenwert. „Für das, was die Mikrowelle ermöglicht – eine Entkopplung von Zubereitung und Verzehr sowie eine Rationalisierung der Speisezubereitung – gab es eigentlich keine Nachfrage“, erklärt Reinhold Bauer. Ihren Durchbruch erlebte die Mikrowelle erst mit dem Aufkommen der zahlreichen Single- und Doppelverdiener-Haushalten in den achtziger Jahren.
Typ 4: Innovationsversuche, die aufgrund eines zu hohen „Neuheitgrades“ scheitern
Das Smartphone als Brille immer vor Augen – diese Innovation wurde als zu radikal abgelehnt. Die Datenbrille Google Glass, 2012 auf den Markt gebracht, konnte sich nie wirklich durchsetzen. Zum einen verlieh sie ihrem Träger einen ´Cyborg-Look`, der nicht als cool verstanden wurde, zum anderen fühlten sich die Menschen von den Google Glass-Trägern „ausgeforscht“. Denn der integrierten Kamera schien man nicht ausweichen zu können: Blickten Google Glass-Träger einen einfach nur an oder filmten sie ihr Gegenüber? Das Unbehagen ging so weit, dass Initiativen wie „Stop the Cyborgs“ gegründet wurden.
Typ 5: Innovationsversuche, die aufgrund eines instabilen Entwicklungsumfelds scheitern
In der Energie- und Mobilitätszukunft scheint die Wasserstofftechnologie als Antriebstechnologie gerade ausgebremst zu werden. In Hamburg jedenfalls hat sich die Hochbahn AG für die Anschaffung von 60 serienreifen Batteriebussen entschieden, die in einem Pilotprojekt ebenfalls getesteten Brennstoffzellenbusse werden zurückgestellt. Auch die Lagerung des explosiven Wasserstoffs in Wohngebieten wird als Problem gesehen – und so ziehen die batteriegestützten an den Wasserstoff-Bussen vorbei. Vor ein paar Jahrzehnten war die Elektromobilität noch der Verlierer. Vor dem Ersten Weltkrieg habe es noch eine „ausgeprägte Systemkonkurrenz“ zwischen Dampfmaschinenantrieb, Verbrennungs- und Elektromotoren gegeben, weiß Reinhold Bauer. Und während die E-Motoren solide und einfach zu bedienen waren, machte trotzdem der Verbrennungsmotor das Rennen. „Er galt als ´Abenteuermaschine`. Benziner waren laut und technisch anfällig, doch wer ein Auto mit Verbrennungsmotor fuhr, konnte sich als männlich, abenteuerlustig, fortschritts- und technikaffin inszenieren“, so Bauer.
ys