Hamburg News: Lieber Professor Brinksma, bitte eine kurze Begriffs-Erläuterung: Was genau ist Deep Tech?
Professor Brinksma: Beginnen wir damit, was Deep Tech nicht ist: Es ist nicht das Verfügbar machen existierender Dienstleistungen über das Internet. Deep Tech ist im Wesentlichen das, was die TUHH lehrt, wozu sie ihre Studierenden motiviert und das auch in ihrem Leitmotiv „Technik für die Menschen“ ihren Ausdruck findet. Es sind forschungsgetriebene Entwicklungen mit einem technologischen Kern, die eine nachhaltige, positive Auswirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft haben. Deep Tech meint Innovationen mit einer disruptiven Technologie, die bereits bestehende Technologien, Produkte oder Dienstleistungen im Markt vollständig ersetzen. Hierbei geht es nicht um eine Weiterentwicklung einer Technologie, sondern um das Entstehen von etwas völlig Neuem. Nehmen wir hierfür Deep Tech-Beispiele aus der jüngsten Geschichte: Das Auto setzte sich fast anstandslos gegen die Pferdekutsche durch, die CD verbannte die Schallplatte, Smartphones mit Touchscreen ersetzten die Mobilphones mit Tastatur – die Liste lässt sich lange weiterführen.
Hamburg News: Worin könnte die besondere Innovationskraft, von der wir hier sprechen, bestehen?
Professor Brinksma: Die Innovationskraft zeigt sich, wenn sich eine Technologie im Alltag durchsetzt und ein neues Geschäftsmodell damit etabliert wird. In erster Linie muss diese Innovation dem Menschen Lösungen für bestimmte Bedarfe anbieten. Sie muss nützlich sein, die Arbeit erleichtern, das Leben schöner machen. Sie ändert das Nutzerverhalten im besten Sinne nachhaltig und erfordert unter Umständen auch ein neues Mindset. Aus der TUHH heraus hat sich beispielsweise das Startup Nüwiel gegründet, das einen E-Fahrradanhänger entwickelt hat, der der Bewegung des Fahrrads automatisch folgt. Der Fahrer merkt so die Last und die Fracht des Anhängers nicht, ein ideales Gefährt für den modernen urbanen Raum. Oder auch das TUHH-Startup bentekk. Es entwickelt, produziert und vertreibt analytische Gasmesstechnik für die Bestimmung von Gefahrstoffkonzentrationen. Die Messsysteme setzen auf einen Industrial-Internet-of-Things-Ansatz und werden jetzt schon erfolgreich in der Industrie eingesetzt.
Hamburg News: Wie bereitet die TUHH künftigen Gründern den Weg?
Professor Brinksma: Die TUHH ist 2013 vom Bund als Gründerhochschule ausgezeichnet worden und erfüllt den sich daraus ergebenden Auftrag auch gerne weiter. Wir fördern unter dem Dach der Hamburg Innovation junge Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler sowie Gründungswillige von der Idee bis zur Realisierung des eigenen Unternehmens. Zudem bietet die TUHH im Hamburg Innovation Port in Harburg außerordentliche Möglichkeiten der Vernetzung junger Unternehmen mit Wissenschaftseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen. Dieser Technologie- und Innovationsstandort ermöglicht es, größtmögliche Synergien auf kurzen Wegen zu erreichen. Das sind die besten Voraussetzungen zur Etablierung einer aktiven Gründer- und Startup-Szene.
Hamburg News: Wie ist Hamburgs Gründerszene im Bereich Deep Tech aufgestellt?
Professor Brinksma: Hamburg hat eine starke Deep Tech Startup-Szene und schließt da gerade zu Berlin auf. Die Startups sind dabei kaum branchenspezifisch auszumachen, sondern sind zunehmend den Hamburger Clustern wie Luftfahrt, Life Science oder auch der Maritimen Wirtschaft zuzuordnen. Für die Gründerszene ist Hamburg ein sehr guter Standort, da hier alle Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik eng zusammenarbeiten und gemeinsam für den Standort Hamburg agieren. Wir sehen aber auch, wo noch Bedarfe sind. Was Hamburg unbedingt braucht, ist mehr Venture Capital, das heißt mehr risikofreudige Investoren, damit es in diesem Segment wettbewerbsfähig ist.
Des Weiteren braucht Forschung- und Entwicklungsarbeit weitere Infrastruktur und Netzwerke, die eine Zusammenarbeit ermöglicht und auch experimentellen Raum gibt. Zudem sind noch mehr Potenziale aus der Wissenschaft zu identifizieren und zu fördern. Als TUHH treiben wir dies mit Hamburg Innovation und unseren Partnern aus Wirtschaft, Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch voran. Das zeigt sich in Initiativen wie der Plattform beyourpilot für Gründer aus dem Hochschul- und Forschungsumfeld, oder auch der Hamburger Fördermaßnahme call4transfer mit der Hamburger Wissenschaftsbehörde.
ys/kk