„Seit 2021 sind wir Microsoft Gold Partner, die Microsoft Holo Lens 2-Hardware erlaubt uns holographische Darstellungen von allen Seiten zu betrachten. Die Bilder lassen sich frei im Raum bewegen, in der Größe anpassen und direkt auf den Patienten projizieren“, erklärt Pelzl. Da die virtuellen Aufnahmen durchscheinend sind, sei der Einsatzbereich des Arztes darunter völlig sichtbar, fährt er fort. „Die Hologramme lassen sich ganz nach Bedarf hin und herbewegen und das per Sprach- oder Gestensteuerung, sodass die Hände frei – und steril – bleiben.“ In Hamburg war Dr. Hans von Lücken, Oberarzt für Kopf- und Halschirurgie/HNO am Marienkrankenhaus, einer der ersten, der die virtuelle Unterstützung einsetzte. Das System wurde seitdem maßgeblich weiterentwickelt und ist als medizinische Software zertifiziert. „Inzwischen wird VSI Holo Medicine in 13 verschiedenen medizinischen Feldern und in über 45 Krankenhäusern weltweit eingesetzt“, so Pelzl. Besonders in den USA und Asien sei das Interesse groß. Das liege zum einen daran, dass erfolgreiche Studien die Runde machen und damit das Verfahren an Bekanntheit gewinne, zum anderen werde die Technologie immer besser.
Eine 3D-Darstellung im medizinischen Umfeld kann Leben retten. Zum Beispiel in diesem Fall: An den Tumor einer Patientin wagten sich ihre Ärzte nach Inaugenscheinnahme herkömmlicher CT- und MRT-Scans zunächst nicht heran. Er schien inoperabel. „Durch die Darstellung des CTs in 3D mit VSI Holo Medicine sahen die Mediziner einen Weg, den Eingriff sicher zu planen. Die Patientin konnte erfolgreich operiert werden“, berichtet Sirko Pelzl, Gründer des Health-Startups Apoqlar. Die „VSI Holo Medicine“ (Virtual Surgery Instructor) von Apoqlar ist eine Softwareplattform, auf der medizinische Informationen wie MRT- und CT-Scans, aber auch Ultraschall-, Mikroskop- oder Endoskopieaufnahmen als dreidimensionale Hologrammbilder angezeigt werden. Diese erlauben laut Pelzl auch die Darstellung extrem detaillierter anatomischer Strukturen. Behandelnden Ärzten werden die holographischen Darstellungen über eine Mixed-Reality-Brille eingespielt. Sechster Teil unserer Serie „Zukunftstechnologien in der Medizin“.
Hologramme lassen sich frei im Raum bewegen
Zahl der Nutzer:innen nimmt zu
„Für das Streaming von Hologrammen brauchen wir ein leistungsstarkes Netz. Da eine sichere Cloud und 5G in Kliniken zunehmend Standard werden, wird auch die Anwendung immer besser und benutzerfreundlicher“, erklärt der Software-Architekt, der vor seiner Selbständigkeit für Unternehmen wie Philips, Sony, Audi, Eon, Deutsche Telekom und Bosch gearbeitet hat.
Pelzl hat ambitionierte Ziele: „Wir wollen Weltmarktführer werden.“ Die Zeichen stehen gut, ist er überzeugt. „Immer mehr Kliniken entscheiden sich für die Investition in unsere Technologie. Wurden am Anfang einige wenige Brillen zum Ausprobieren bestellt, sind es jetzt bereits 30 bis 50 Nutzer auf verschiedene Stationen, kombiniert mit einem Zweijahresvertrag und einer sicheren Anonymisierungssoftware, ShareMedix.“ Für den Gründer stellt sich somit nicht die Frage, ob sich die Holomedizin durchsetzt, sondern wie schnell dies geschieht.
Verband soll Holomedizin international vorantreiben
Darum wurde im September 2021 die internationale Holomedicine Association mit aktuell 300 Mitgliedern ins Leben gerufen. 4.000 sollen es einmal werden. „Ziel ist es, Holomedizin aktiv mitzugestalten. Dazu werden etwa die Standards für medizinische Studien und Richtlinien definiert, aber auch technische und politische Fragen vorangetrieben“, erklärt Pelzl. Aktuell dominieren mit 70 Prozent Ärzt:innen den Verband. 30 Prozent der Mitglieder sind Techniker:innen und Politiker:innen.
Holo-Ansatz auch in der Lehre anwendbar
Tatsächlich komme die Technologie nicht nur bei der OP-Planung, sondern auch bei der Patientenaufklärung oder in der medizinischen Ausbildung zum Einsatz. Die plastische Darstellung von Blutbahnen, Organen oder von Tumoren ermögliche angehenden Mediziner:innen ein weitaus besseres Verständnis ihres künftigen Einsatzfeldes, als es Lehrbücher und zweidimensionale Abbildungen vermitteln können. „Und per Streaming können Studenten zu realen Operationen zugeschaltet werden, ebenso wie der Operateur weitere Experten für eine Remote-Unterstützung zuschalten kann“, so der Gründer. Die Technik macht es möglich.
Um die Akzeptanz der Bevölkerung für den Einsatz digitaler Technik in der Medizin zu steigern, ist Anfang des Jahres das Forschungsprojekt „Hybride Interaktionssysteme zur Aufrechterhaltung der Gesundheit auch in Ausnahmesituationen“ (HVIAM) an den Start gegangen. In dem Verbundprojekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,8 Millionen Euro gefördert wird, werden intelligente Assistenzsysteme entwickelt, die eine Ferndiagnostik mithilfe von virtuellen 3D-Avataren ermöglichen sollen. Federführend ist die Universität Hamburg. Mit an Bord: Die Hamburger Startups Sympatient und Apoqlar.
ys/sb
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