„Diese Maßnahmen sind notwendig, um einen Zugriff von außen zu verhindern. Denn medizinisches Cannabis wird als Betäubungsmittel klassifiziert und muss damit besonders geschützt werden“, erklärt Thorsten Kolisch, Geschäftsleiter und General Manager der Aphria RX GmbH. Das Unternehmen ist eine 100%ige Tochter von Tilray, einem börsennotierten Konzern mit Hauptsitz in Leamington, Kanada. Und aus dem nordamerikanischen Land kommen auch die ersten Mutterpflanzen – die Grundlage für Deutschlands erste und größte Cannabis-Produktion für medizinische Zwecke.
Pflanzen müssen gehegt und gepflegt werden, damit sie gut gedeihen. Die Pflanzen, die von der Aphria RX GmbH auf einer Indoor-Plantage in Neumünster angebaut werden, erhalten eine ganz besondere Pflege. Und besonderen Schutz. Aphria RX ist eines von drei Unternehmen, das die Lizenz zum Anbau von medizinischem Cannabis in Deutschland erhalten hat – verbunden mit strengen Sicherheitsauflagen. Und so wachsen die Pflanzen hinter 24 Zentimeter dicken Stahlbetonwänden, bewacht von rund 400 Kameras, während Bewegungsmelder und Sicherheitsschleusen unbefugtes Betreten verhindern.
Mutterpflanzen aus Kanada
Vom Setzling zur Blüte in rund 70 Tagen
Produziert werden auf 12.000 qm drei verschiedene Cannabissorten, die Ärzte vorwiegend bereits austherapierten Patienten verschreiben, so Kolisch. „Das sind beispielsweise Patienten mit Multiple Sklerose oder chronische Schmerzpatienten.“ In solchen Fällen übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Doch auch Privatzahlern steht das Medizinprodukt zur Verfügung, etwa als Alternative für besonders starke Schmerzmittel. Voraussetzung ist jedoch immer die Verschreibung durch einen Arzt.
Die Produktion der Hanfgewächse findet mithilfe innovativer Technologie statt. Computerüberwacht wachsen die Pflanzen in drei aufeinander abgestimmten Bereichen. „Der erste ist den Mutterpflanzen vorbehalten, von denen wir die Setzlinge gewinnen. Den nächsten Bereich nennen wir den Kindergarten, hier werden die jungen Triebe 14 Tage lang unter besonderen Bedingungen gehegt, um Wurzeln auszuprägen, bevor sie dann in die Blühkammer wechseln. Alles in allem benötigen unsere Pflanzen etwa 65-75 Tage bis zur Reife“, erläutert Kolisch die Wachstumsperioden. Anschließend werden die Pflanzen nach pharmazeutischen Standards weiterverarbeitet, getrocknet, verpackt und in einem gesicherten Tresorraum gelagert.
Aphria RX simuliert zur Produktion nicht nur die natürlichen Bedingungen, sie optimiert sie. Von keimfreier Mineralwolle als Muttererde-Ersatz über Luftqualität und Lichtverhältnisse – erzeugt durch LED-Lampen, die auf bestimmte Spektralfarben eingestellt sind – bis hin zum Wasser, das entsalzt, mit UV-Licht nachbereitet und mit Spurenelementen und Dünger angereichert wird.
Jährliche Produktion: 1,1 Tonnen medizinisches Cannabis
„Üblicherweise wachsen Pflanzen ‚wie sie wollen‘, abhängig von Wetter und Bodenbeschaffenheit. In unserer Indoor-Plantage aber können wir alle Bedingungen kontrollieren und eine exakt gleichbleibende Qualität sicherstellen“, sagt Kolisch. Pro Jahr produziert Aphria RX auf diese Weise 1,1 Tonnen medizinisches Cannabis. Damit ist die Kapazität der Anlage in Neumünster keineswegs ausgeschöpft, doch die Produktionsmenge wird von der Cannabis-Agentur vorgegeben.
Cannabis wurde in Deutschland erst 2017 zur rein medizinisch-therapeutischen Behandlung zugelassen, die Cannabis-Produkte wurden daraufhin importiert. 2019 wurden die Lizenzen für den kontrollierten Anbau innerhalb des Landes vergeben. Im Juli dieses Jahres nun konnte Aphria RX die erste Ernte an Apotheken in ganz Deutschland ausliefern, das Unternehmen gehört somit zu den Pionieren des heimischen Anbaus.
Studien sollen öffentliche Akzeptanz stärken
Natürlich hofft Kolisch auf eine Ausweitung der Produktion. Die jedoch scheitert aktuell wohl auch noch an bestehenden Unsicherheiten im Umgang mit der Heilpflanze. „Cannabis wird als Nutzpflanze schon seit tausend Jahren angebaut, doch sie ist auch hochkomplex und in all ihren Facetten noch immer nicht voll erforscht.“ Kolisch hofft somit auf baldige, evidenzbasierte Studien, die zweifelsfrei die medizinische Wirkung belegen – und dadurch die öffentliche Akzeptanz stärken.
ys/kk