„Um diese hohe Anzahl an Arbeitslosenmeldungen zu legitimieren, hätte die Agentur etwa 3.000 Mitarbeiter*innen in der Durchführung von Fernidentifizierungen schulen müssen. Was auch angesichts des nötigen Sicherheitsniveaus in der Kürze der Zeit unmöglich ist. Menschen konnten diese Aufgabe also nicht zeitnah lösen, unsere Software zur Automatisierung dieses Vorgangs war bereits erprobt und konnte sofort hunderttausendfach zum Einsatz kommen“, erklärt Benny Bennet Jürgens. Und so kam – ganz klassisch über eine Ausschreibung – das von ihm und Carlo Ulbrich entwickelte Robo-Ident-Verfahren ins Spiel. Die Technologie auf Basis von künstlicher Intelligenz des Startups Nect, ermöglicht es Kunden, sich in nur wenigen Minuten auszuweisen und ebnet so den Weg zu schneller Hilfe.
Als durch die Pandemie die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellten, war die Not groß. Zum einen für die Antragssteller*innen, zum anderen aber auch für die der Agentur für Arbeit, die den plötzlichen Ansturm bewältigen musste. „Im April 2020 stiegen die Neuzugänge in Arbeitslosigkeit aus regulärer Beschäftigung um mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, im Mai noch einmal um rund 26 Prozent“, hat der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft rückblickend festgestellt.
Robo-Ident-Verfahren
In der Versicherungsbranche bewährt
Die vollautomatisierte Online-Identifizierung hatte sich zuvor bereits im Versicherungssektor bewährt. Zu den Kunden des 2017 gegründeten Startups gehören etwa die R+V-, die Nürnberger oder die HUK-Coburg-Versicherung. „Die Idee zu unserem Startup ist 2015 beim Kinderwagenschieben entstanden, als wir überlegt haben, zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Carlo bringt das Vertriebs-Gen mit, ich die Lust an der IT-Entwicklung und 10 Jahre Erfahrung in der Versicherungsbranche“, erzählt Jürgens.
Unter anderem entwickelte er eine Rechnungs-App für Krankenversicherte, musste aber feststellen, dass zu viele User den oft langwierigen Registrierungsvorgang frustriert abbrechen. Also entwickelten Jürgens und Ulbrich eine schnelle und sichere KI-Anwendung als Alternative.
Retter in der Not
Die erwies sich auch bei der Hamburger Corona Soforthilfe als Retter in der Not. Nachdem die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB Hamburg) die Antragstellung und Vergabe der Hilfsgelder aufgrund eines Betrugsversuchs kurzzeitig aussetzen musste, hatten Solo-Selbständige und kleine Unternehmer zunächst keine Möglichkeit, Hilfsgelder zu beantragen. Eine händische Legitimationsprüfung wäre wiederum extrem zeit- und personalaufwändig gewesen. Und so beauftragte die IFB Hamburg Nect. „Unsere KI-Lösung kann hunderttausende Anträge pro Monat prüfen und das bei gleichbleibender Qualität.“ Die schnelle Problemlösung sorgte für große Erleichterung in Hamburg. „Wir haben vor lauter Dankbarkeit Blumen geschickt bekommen und sind wirklich stolz, in dieser Zeit helfen zu können“, so Jürgens, der zudem hofft, dass der positive empfundene Einsatz von KI ein Stück weit dazu beiträgt, die Angst vor dem technologischen Wandel abzubauen.
Hamburg: Attraktiv für Gründer
Nect selbst ist mit seinem KI-Produkt jedenfalls auf Erfolgskurs. 2020 gewann das Startup den Hamburger Gründerpreis und ist für den Deutschen Gründerpreis 2021 nominiert. Aktuell wächst das Startup nach eigenen Angaben mit monatlich hunderttausenden neuen Nutzern und dem Zugang für über 60 Millionen Endkunden in Deutschland. In Hamburg sehen die Gründer einen guten Standort für ihr Unternehmen. „Es ist eine tolle Stadt, die durch Förderungen für Startups und einer Vielzahl von Reallaboren neuen Ideen den Start in die Praxis ermöglicht. Und die hohe Lebensqualität hier erleichtert die Mitarbeiterakquise“, betont Jürgens.
Seit der Gründung ist Nect auf gut 80 Mitarbeiter gewachsen, 15 davon kamen aus dem Ausland an die Elbe. Und woran arbeitet das Nect-Team als nächstes? „Wir verfolgen aktuell vor allem zwei Ziele: Internationalisierung und die Ergänzung unseres Robo-Ident-Verfahrens durch eine elektronische Signatur für Verträge, wie Miet-, Kredit- oder Arbeitsverträge“, sagt Jürgens. Als neue Märkte hat das Startup vor allem südeuropäische Länder, wie Spanien und Italien im Blick. „Dort gibt es eine ähnliche Bank- und Versicherungslandschaft wie in Deutschland und einen ähnlich hohen Bedarf an digitalen Lösungen – dort können wir wachsen.“
ys/kk
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