„Hamburg ist ein relevanter Standort der Musikwirtschaft. Hier wird rund 20 Prozent der deutschen Bruttowertschöpfung generiert“, erklärt Schulz und bezieht sich dabei auf die eingangs erwähnte Studie „Musikwirtschaftsstandort Hamburg“, die die große wirtschaftliche Bedeutung der Branche für die Region unterstreicht. Schulz verweist zudem auf die im September vorgestellte Studie „Musikwirtschaft in Deutschland 2024“ des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI). Demnach lagen die Umsätze der deutschen Musikwirtschaft im Jahr 2023 bei etwa 17,4 Milliarden Euro, was einer Bruttowertschöpfung von rund 6,6 Milliarden Euro entspricht. Die Bedeutung der Branche gehe aber weit über das rein Monetäre hinaus, ist Schulz überzeugt. „Unsere Produkte – also Musik – stärken die Standortattraktivität. Das gilt besonders für Livemusik, die für viele zur Lebensqualität beiträgt und als Imagefaktor etwa einen Sog auf junge Familien sowie Fachkräfte entfaltet.“ Vom Fachkräftemangel ist auch die Branche selbst betroffen. „Wir brauchen überdurchschnittlich viele Mitabeiter:innen in der Altersgruppe 20 bis 35 Jahren, die im Idealfall kinderlos und Akademiker:innen oder angehende Akademiker:innen sind. Und das ist eine Gruppe, bei der wir mit Städten wie Berlin, London oder Paris konkurrieren.“
Hamburg hat sich als Musikstandort breit aufgestellt. Die Hansestadt gilt nach New York und London als drittgrößte Musicalstadt weltweit, die 2017 eröffnete Elbphilharmonie verzeichnete in der Konzertsaison 2022/23 rund 841.000 Besucher:innen und das Reeperbahn Festival hat sich zum größten Clubfestival Europas sowie zu einer internationalen Plattform für Musikwirtschaft entwickelt. Zudem belegt eine von Hamburg Music in Auftrag gegebene Studie (Oktober 2023) die wirtschaftliche Bedeutung der Branche. So hat die Musikwirtschaft in der Region Hamburg im Jahr 2019 einen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Höhe von gut einer Milliarde Euro geleistet, etwa 591 Millionen Euro an Steuergeldern generiert und über 16.000 Arbeitsplätze direkt, indirekt und induziert geschaffen.
Am 13. November feiert Hamburg Music sein 20-jähriges Jubiläum. Gestartet als „Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft“, um den Musik- und Musikwirtschaftsstandort Hamburg zu fördern und mitzugestalten, zählt der Zusammenschluss heute zu den größten Musikverbänden Europas und vertritt über 140 unabhängige Hamburger Unternehmen unterschiedlicher Größen aus allen musikwirtschaftlichen Teilgebieten: von Künstler:innenmanagements über Labels, Vertriebe und Verlage bis zu Konzertveranstalter:innen und Musikclubs. Wir sprachen mit Alexander Schulz, Vorstandsvorsitzender von Hamburg Music und Gründer des Reeperbahn Festivals, über Musik als Wirtschafts- und Standortfaktor.
Musik stärkt Standortattraktivität
Musik-Destination Hamburg
Im Wettbewerb um Musiktourist:innen schneidet Hamburg im Vergleich mit Berlin und München überdurchschnittlich gut ab. Auf Musik-Kurzurlaubsreisen wurden in Hamburg pro Person rund 346,8 Euro ausgegeben, während es in Berlin ‚nur‘ 238,1 Euro und in München 297,5 Euro waren. „Bei den Musikreisen in die Hansestadt spielen Musicals eine bedeutende Rolle“, weiß Schulz. In diesem Jahr sorgten zudem große Namen wie Taylor Swift, Robbie Williams, Depeche Mode oder James Blunt für Musiktourismus in Hamburg. „Solche Acts sprechen klar für die Bedeutung des Standorts.“ Allerdings bedeuten große Namen meist auch hohe Ticketpreise – und die belasten die aktuell ohnehin eher begrenzten Kulturbudgets.
Trend zu kurzfristig gekauften Tickets
„Wir leiden unter denselben Herausforderungen wie die gesamte Wirtschaft: Sinkende Konsumlaune bei gestiegenen Kosten. Und mit dem knapperen Budget gehen die Leute lieber auf ‚Nummer sicher‘ und entscheiden sich für große Konzerte, statt für kleine Clubs mit noch wenig bekannten Künstler:innen.“ Zudem gehe der Trend zu eher kurzfristig gekauften Tickets, was im schlimmsten Fall zu Absagen seitens der Veranstalter führt. „Vor der Pandemie hatten wir Absagen, weil Konzerte wegen großer Nachfrage in größere Locations verlegt wurden, nun ist es die Kaufzurückhaltung, die zu Absagen führt.“ Für Clubs würden Konzerte so immer schwerer kalkulierbar – bei schon ohnehin schmalen Margen, betont Schulz. „70 bis 80 Prozent der Einnahmen gehen an Künstler:innen und Veranstalter:innen, 20 bis 30 Prozent an die Clubs – und das bei Eintrittspreisen von manchmal unter 20 Euro.“
Kleine Clubs als ‚Geburtshelfer‘
Dabei ist der Erhalt der Clubs wichtig für die Musikwirtschaft, ein etwaiges Clubsterben hätte weitreichende Folgen, warnt Schulz. „Die Entwicklung neuer Produkte – in diesem Fall Künstler:innen – hängt von kleinen Spielstätten ab. Hier präsentieren sie sich dem Publikum und bauen sich eine Fangemeinde auf. In einigen Fällen mag das rein digital gelingen, doch nur der Live-Act bietet ein multisensorisches Erlebnis, das noch Jahre lang trägt. Das kann kein Algorithmus.“
Gerade in dem multisensorischen Erlebnis sieht Schulz auch die Bedeutung des Reeperbahn Festivals, das im September 2024 erneut vier Tage lang 450 Acts aus 35 Nationen präsentierte, viele davon junge, noch unbekannte Talente. Mit den diesjährigen Zahlen ist der Festivalgründer jedoch nicht glücklich. „Beim Fachpublikum konnten wir mit rund 5.000 Besucher:innen eine leichte Steigerung verzeichnen, liegen allerdings immer noch 30 Prozent hinter 2019.“ Besorgniserregender sei jedoch der leichte Rückgang bei den Besucherzahlen im öffentlichen Bereich. „Insgesamt kamen rund 45.000 Besucher:innen und damit etwa 5 Prozent weniger als 2023. Das ist nicht gravierend, aber das gab es bislang einfach noch nie.“
Zieht er Konsequenzen aus den Zahlen? „Wir werden die Ticketpreise konstant halten. Angesichts der aktuellen Situation ist das klar eine Form der Vergünstigung“, erklärt Schulz. Inhaltlich aber werde sich nichts ändern. „Wir bleiben bei unserem Auftrag, vielversprechenden Talenten eine Bühne zu bieten.“ Das 20. Reeperbahn Festival findet vom 17. bis 20. September 2025 statt.
ys/sb