Wasserstoff

Norden setzt mit Erfolgsprojekten auf grünen Wasserstoff

17. August 2021
Nirgendwo in Deutschland wird so viel erneuerbare Energie produziert wie im Norden. Das Know-how wird nun für grüne Wasserstoff-Projekte genutzt

Die norddeutschen Bundesländer sind Treiber der Energiewende in Deutschland. Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind Vorreiter bei der Windenergie und haben den technischen Fortschritt in diesem Bereich maßgeblich mitgeprägt. Diese Expertise soll gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Politik in die Herstellung und kommerzielle Nutzung grünen Wasserstoffs einfließen. Als Grundlage dafür haben die Länder die Norddeutsche Wasserstoffstrategie verabschiedet. Der Raum Hamburg ist das leistungsstärkste Cluster für grünen Wasserstoff in Deutschland.

Norddeutschland: Zukunftsregion für grünen Wasserstoff

Die Wirtschaftsförderorganisationen der norddeutschen Bundesländer haben sich darüber hinaus zur grünen Wasserstoffinitiative HY-5 zusammengeschlossen. Die Standortinitiative will Norddeutschland zur stärksten Zukunftsregion für grünen Wasserstoff im Herzen Europas machen. Zahlreiche Partner sind mit an Bord: In sechs von der Bundesregierung geförderten Reallaboren arbeiten Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Universitäten und Start-ups an zukunftsweisenden Wasserstoffprojekten, darüber hinaus gibt es umfangreiche Forschung und Entwicklung auf Seiten der Industrie. Die Themenfelder reichen von der Reduzierung von CO2-Emissionen über Sektorenkopplung und Elektrolyse bis hin zu Mobilität. Im April 2021 haben darüber hinaus die Unternehmen Airbus, ArcelorMittal, Gasnetz Hamburg, GreenPlug, Hamburger Hafen und Logistik AG, Hamburg Port Authority, HADAG Seetouristik und Fährdienst sowie die Stadtreinigung zusammen mit dem Hamburg Green Hydrogen Hub (bestehend aus Shell, Vattenfall, Mitsubishi Heavy Industries und Wärme Hamburg) den Wasserstoffverbund Hamburg gebildet.

Zwölf IPCEI-Projekte in der Metropolregion Hamburg

Dass die norddeutschen Länder damit auf Erfolgskurs sind, beweist die Vergabe von Fördermittel aus dem IPCEI-Programm der EU. Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesverkehrsministerium haben 62 Wasserstoff-Großprojekte vorgestellt, die im Rahmen des sogenannten IPCEI Wasserstoff (Important Projects of Common European Interest) staatlich gefördert werden sollen – in der Metropolregion stehen gleich zwölf Projekte auf der Liste (s. Kasten). Damit ist der Raum Hamburg das leistungsstärkste Cluster für grünen Wasserstoff in Deutschland, das Fördervolumen für innovative grüne Wasserstoff-Projekte in der Region liegt bei 520 Millionen Euro.

Darüber hinaus gibt es einige Projekte, die den ganzheitlichen Ansatz der Region widerspiegeln. Eine Auswahl:

Elektromobilität mit Wasserstoff

Wasserstoff in unmittelbarer Nähe zum Flughafen tanken – das ist seit Mitte November 2020 am „Weg beim Jäger“ in Hamburg möglich. Fahrern von Brennstoffzellen-Fahrzeugen bieten sich damit sechs Stationen in der Metropolregion. Der Wechsel zu  Elektromobilität wird dadurch erneut ein Stück weit bequemer – und immer mehr Menschen steigen um. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes ist in der Hansestadt jeder 80. PKW ein Elektroauto oder Plug-in-Hybrid. Der deutsche Durchschnittswert liegt dagegen bei „nur“ 116. Damit liegt Hamburg bundesweit an der Spitze der Elektromobilität.

Neue Wasserstoff-Tankstelle in der Nähe des Flughafens

Beim Thema Mobilität setzt auch das nordfriesische Unternehmen GP Joule an. Mit seinem Pilotprojekt eFarm realisiert es eine Wasserstoff-Infrastruktur von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zur Flottennutzung. Ziel ist, ein gemeinschaftliches, nachhaltiges Wirtschaften mit erneuerbaren Energien zu erreichen und grünen Wasserstoff zu produzieren, zu transportieren, zu verarbeiten und zu vermarkten. Das eFarm-Projekt gewährleistet Versorgungssicherheit in Nordfriesland mit 100 % grünem, regional erzeugtem Wasserstoff aus Windstrom und bereitet so den Weg für Wasserstoff-Mobilität. Um den erwarteten Bedarf zu decken, umfasst das Projekt fünf Wasserstoffproduktionsstandorte (1,125 MW Gesamtleistung) in der Nähe zu bestehenden Windparks, zwei Wasserstoff-Tankstellen in Husum und Niebüll, zwei Brennstoffzellenbusse für den Linienbusverkehr (Inbetriebnahme im Dezember 2020) sowie 30 Brennstoffzellen-PKW mit Potenzial für mehr als 100 Fahrzeuge.

Grüner Wasserstoff aus der Region Heide: Reallabor Westküste100

Das Reallabor Westküste100 in Schleswig-Holstein hat sich 2019 beim Ideenwettbewerb des Bundeswirtschaftsministeriums durchgesetzt und verfolgt gleich mehrere Ziele: Hier soll eine Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab entstehen, um nachhaltiger zu heizen, bauen oder zu fliegen und Elektrolyse, Sektorenkopplung und Dekarbonisierung voranzutreiben. Ziel ist es, die Windenergie in Norddeutschland zu nutzen, um Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu erzeugen und eine Dekarbonisierung von Wärme, Transport und Industrie zu erreichen. Herzstück ist der Forschungs- und Entwicklungsansatz, aus Offshore-Windenergie grünen Wasserstoff herzustellen und die entstehende Abwärme und den Sauerstoff zu verwenden. Im Anschluss soll der grüne Wasserstoff sowohl für die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe für Flugzeuge eingesetzt als auch in Gasnetze eingespeist werden. Bei der Treibstoffherstellung soll aus Elektrolyse gewonnener Wasserstoff sowie bei der Zementproduktion anfallendes CO2 zur Verwendung kommen.

Stahlerzeugung mit grünem Wasserstoff: Salzgitter AG

Unter dem Projektnamen SALCOS® (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) hat die Salzgitter AG gemeinsam mit Partnern ein Projekt ins Leben gerufen, dessen Ziel es ist, durch den Einsatz von Wasserstoff in der Produktion die CO2-Emissionen drastisch zu senken. Das Konzept wurde 2015 entwickelt und umfasst die Wasserstoff-Erzeugung sowie die Umstellung der Stahlproduktion von Hochöfen auf die anfangs Erdgas- und später Wasserstoff-basierte Direktreduktion. Bei einer vollständigen Umstellung auf Direktreduktionsanlagen kann Wasserstoff den bisher zur Stahlherstellung benötigten Kohlenstoff komplett ersetzen und CO2-Emissionen damit um über 95 % senken. Indem das Projekt auf die Vermeidung von CO2 setzt (Carbon Direct Avoidance Strategie), statt es einzulagern oder aufwendig nutzbar zu machen, schafft es einen neuen nachhaltigen Standard für die Branche.

Der benötigte grüne Wasserstoff stammt aus einem Hochtemperatur-Elektrolyseur. Dazu hat sich die Salzgitter AG mit Avacon und Linde zusammengeschlossen. Mit der Inbetriebnahme des in Deutschland einzigartigen Sektorkopplungsprojekts „Windwasserstoff Salzgitter - WindH2“ wird auf dem Gelände des Hüttenwerks in Salzgitter künftig grüner Wasserstoff mit Strom aus Windenergie erzeugt. Avacon, ein Unternehmen der E.ON-Gruppe, betreibt auf dem Gelände der Salzgitter AG sieben neu errichtete Windkraftanlagen mit einer Leistung von insgesamt 30 Megawatt. Die Salzgitter Flachstahl GmbH hat zentral auf dem Werksgelände zwei Siemens 1,25 Megawatt-PEM-Elektrolyse-Einheiten installiert, die pro Stunde rund 450 m3 hochreinen Wasserstoff erzeugen werden. Schon heute wird in der Stahlherstellung Wasserstoff für Glühprozesse und in den Feuerverzinkungsanlagen eingesetzt. Der Industriegasproduzent Linde liefert das Gas zurzeit per Lkw und wird auch künftig die kontinuierliche Versorgung des Wasserstoffbedarfs absichern. Sämtliche Anlagen sind derzeit im Probebetrieb.

Der erste Wasserstoffzug der Welt: Coradia iLint

2016 präsentierte Alstom erstmalig den Wasserstoffzug Coradia iLint und wurde damit der weltweit erste Schienenfahrzeughersteller, der einen CO2-emissionsfreien Regionalzug entwickelt hatte, der mit Wasserstoff-Brennzellen angetrieben wird. Nur zwei Jahre später nahm der iLint 2018 den Fahrgastbetrieb in Deutschland auf. Gezielt entwickelt für den Einsatz auf nichtelektrifizierten Strecken, ermöglicht er einen sauberen, nachhaltigen Zugbetrieb unter Beibehaltung einer hohen Leistung.

Wasserstoffzug Coradia iLint

Der Coradia iLint ist geräuscharm, gibt lediglich Wasserdampf und Kondenswasser ab und kombiniert verschiedene innovative Ansätze: saubere Energieumwandlung, flexible Energiespeicherung in Batterien sowie smartes Management von Antriebskraft und verfügbarer Energie. Der Zug wurde unter anderem in Salzgitter entwickelt und von der Bundesregierung im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) gefördert.

Region Heide: Quarree100 und Entree100

Im Rahmen des Projekts Quarree100 wird in der Region Heide untersucht, wie Wind, Sonne und Biomasse in andere Energieformen umgewandelt, gespeichert und verteilt werden müssen, um in einem Stadtquartier eine wettbewerbsfähige, zuverlässige und nachhaltige Energieversorgung zu ermöglichen. Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen dient dem Vorhaben als zentraler Speicher und flexibel einsetzbare Energieform. Und im Projekt Entree100 kommen mehr als 120 Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kommunen und Verbänden zusammen, um die integrierte Energiewende voranzutreiben – mit grünem Wasserstoff als einem der Hauptbausteine.

Die Metropolregion Hamburg hat reichlich Potenzial, die Technologie des regenerativ erzeugten Wasserstoffs maßgeblich voranzutreiben – und die Zahl der Akteure, die dieses Ziel mitverfolgen, wächst kontinuierlich.
bst/tn/sb

Quellen und weitere Informationen

Die IPCEI-Projekte auf einen Blick


Bereich Erzeugung:

  • Green Hydrogen Hub Hamburg – Shell, Vattenfall, Mitsubishi Heavy Industries und die kommunale Wärme Hamburg GmbH
  • HH-WIN – Gasnetz Hamburg
  • AquaVentus – RWE Renewables (Helgoland)

Bereich Infrastruktur:

  • AquaVentus – GASCADE (Helgoland)

Bereich Nutzung der Industrie:

  • H2H – ArcelorMittal
  • e-Methanol Projekt – DOW Stade
  • Hyscale 100 – Holcim (Kreis Dithmarschen)

Bereich Nutzung der Mobilität:

  • WIPLin – Airbus
  • H2Load – Hamburger Hafen und Logistik
  • HyPA – Hamburg Port Authority
  • H2 HADAG – HADAG Seetouristik und Fährdienst
  • H2SB – Green Plug

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