Neun Milliarden Euro pumpt die Bundesregierung in die sogenannte Wasserstoffinitiative, für den Aufbau von Produktionsanlagen und zur Stimulation der Nachfrage nach dem Gas. Grüner Wasserstoff wird nicht ohne Grund als Klimaretter angesehen. Er soll Erdgas, Kohle und Öl ersetzen und den Verkehrssektor, die Strom- und die Wärmeversorgung befeuern, – und gleichzeitig von klimaschädlichen Emissionen befreien. Auch könnte er in der Stahl- und Zementindustrie zum Einsatz kommen, die für enorme Mengen an Klimaschadgasen verantwortlich sind, mit Arcelor Mittal hat Hamburg schließlich auch auf diesem Feld mit enormen Emissionen zu kämpfen.
Wir erleben gerade, wie das Wasserstoffzeitalter anbricht. Im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets setzt die Bundesregierung auch auf ökologisch erzeugten Wasserstoff, um die Emissionen zu reduzieren. Hamburg und die Metropolregion spielen dabei eine tragende Rolle. Im fünften Teil unserer Serie berichtet Daniel Hautmann, Experte für Erneuerbare Energien, vom Status quo.
Grüner Strom als Klimaretter
Kombinierte Windstrom-Wasserstoff-Projekte
Doch um grünen Wasserstoff per Elektrolyse zu erhalten, braucht man grünen Strom. Es liegt also nahe, die von Windkraftanlagen produzierte Energie direkt in der Nähe der Anlagen in Wasserstoff umzuwandeln und zu speichern. Mit dem sogenannten Windenergie-auf See-Gesetz sieht die Bundesregierung vor, Flächen im Meer auszuweisen, auf denen kombinierte Windstrom-Wasserstoff-Projekte entstehen sollen. Und so könnten in einigen Jahren tatsächlich große Offshore-Windparks gebaut werden, an die Plattformen angeschlossen sind, auf denen Wasserstoff produziert wird. Dieser könnte per Schiff oder Pipeline an Land transportiert werden. Dort kann er dann in einem weiteren Schritt unter Zugabe von CO2 in Methan gewandelt werden: Erdgas. Vorteilhaft ist, dass die gesamte Erdgas-Infrastruktur vorhanden ist: Pipelines, Speicher, Verbraucher – alles da.
Projekte rund um das Thema Wasserstoff
In und um Hamburg gibt es bereits einige Wasserstoffprojekte. Etwa „mySmartLife“ in Bergedorf, wo eine Wohnanlage mit einem Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff beheizt wird. Oder im Hafengebiet, wo im Stahlwerk von Arcelor Mittal „grüner Stahl“ produziert werden soll. Gemeint ist Stahl, der klimaneutral ist.
Reallabor: regionale Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab abbilden
Westküste 100 nennt sich eines der ambitioniertesten Zukunftsprojekte in Sachen Wasserstoff. „Die Zahl 100 steht für die 100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien“, erklärt Projektleiter und Chef der Raffinerie in Heide, Jürgen Wollschläger. Zehn Partner haben sich im Projekt zusammengeschlossen. Darunter die Raffinerie Heide, der Zementhersteller Holcim, der im nahegelegenen Lägerdorf ein Werk betreibt und das in Hamburg ansässige Energieunternehmen Ørsted Deutschland.
Die Idee: Mit Windstrom grünen Wasserstoff produzieren und diesen ins Gasnetz zu speisen. Ihn in industriellen Prozessen nutzen und unterschiedliche Stoffkreisläufe innerhalb einer bestehenden Infrastruktur verzahnen. So soll unter realen Bedingungen die Dekarbonisierung von Industrie, Mobilität und Wärmemarkt getestet werden. Angedacht ist auch, den Wasserstoff in unterirdischen Kavernen zu speichern – und so einen kontinuierlichen Prozess zu ermöglichen. Die Planungsphase läuft seit August 2020, die Inbetriebnahme ist für 2023 anvisiert. Dann soll in Heide ein 30 Megawatt-Elektrolyseur arbeiten. Mit dem geplanten Reallabor wird nicht genutzter Strom aus Windenergie in grünen Wasserstoff umgewandelt und so weiterverwendet.
Die Erfahrungen der ersten Projektphase sind Grundlage für die nächste Skalierungsstufe. Die Vision aller Partner ist der Bau einer 700-MW-Elektrolyse-Anlage ab 2025. Hier sollen dann auch die bei der Elektrolyse entstehende Abwärme und der Sauerstoff verwendet werden. Außerdem ist die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe für Flugzeuge am Hamburger Airport vorgesehen.
Ein Gastbeitrag von Daniel Hautmann, freier Wissenschaftsjournalist und Buchautor
Quellen und weitere Informationen
Das Buch
Der Mensch nutzt die Windkraft schon seit Jahrtausenden. Mit dem fortschreitenden Klimawandel und der Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Energien wird die Nutzung des Windes wichtiger denn je. Daniel Hauptmann zeigt in diesem Buch, was mit der Kraft des Windes noch alles möglich ist, wenn man die Innovationskraft zahlreicher Erfinder und Investoren im großen Maßstab hinzuaddiert. Dabei geht er über die gewöhnliche Perspektive der Windkraftnutzung zur Erzeugung von elektrischem Strom hinaus. Er zeigt anhand faszinierender Beispiele, was Wind bewegen kann – von segelnden Frachtschiffen über windbetriebene Rennwagen bis zu schwimmenden Windturbinen. Bei jedem Beispiel geht der Autor auf technische Fakten und die Umweltwirkung ein.
Daniel Hautmann: Windkraft neu gedacht – erstaunliche Beispiele für die Nutzung einer unerschöpflichen Ressource, Hanser Verlag, München 2020, 229 Seiten, gebundene Ausgabe 39,99 Euro, als E-Book 31,99 Euro.
Über den Autor
Daniel Hautmann, Jahrgang 1975, schreibt seit rund 20 Jahren als freier Wissenschaftsjournalist über Technik, Energie und Umwelt. Er ist ausgebildeter Industriemechaniker und Fachzeitschriftenredakteur. Hautmann hat sich vor allem auf regenerative Energien spezialisiert, insbesondere auf das Thema Windkraft. Er surfte bereits mit einem Windsurfweltmeister um die Wette und flog mit der Kunstflug-Europameisterin kopfüber im Segelflugzeug. Seine Texte sind unter anderem in Brand Eins, Technology Review und der Süddeutschen Zeitung erschienen. Darüber hinaus moderiert er gelegentlich fürs Radio, produziert Podcasts und schreibt Bücher. www.danielhautmann.de