Interview Serie

Beyond Corona – Wie beeinflusst die Pandemie Japan?

8. Februar 2022
HamburgAmbassador Nikolaus Boltze berichtet im Interview von den neuesten Entwicklungen aus Tokio und von der japanischen Wasserstoffstrategie

Beyond Corona – Wie geht es weiter in der Welt? Eine Interviewreihe der Hamburg News mit HamburgAmbassadors aus Ländern, die eng mit der Hansestadt verbunden sind. In dieser Ausgabe sprechen die Hamburg News mit Nikolaus Boltze, langjährigem HamburgAmbassador in Tokio, der neben dem HamburgAmbassador Setsuo Kosaka in Kobe, die Interessen der Hansestadt in Japan vertritt. Die Boltze und Kosaka sind zwei von ingesamt 31 HamburgAmbassadors, die sich in 24 Ländern der Welt ehrenamtlich für die Hansestadt engagieren, um diese im Ausland noch bekannter zu machen.

In den letzten Jahren gewannen die deutsch-japanischen Beziehungen wieder an Schwung. Dazu trug unter anderem das 2019 verabschiedete Freihandelsabkommen mit der EU bei. Für Hamburg hat besonders die Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien an Fahrt aufgenommen, da Japan das Thema Wasserstoff offensiv vorantreibt. So waren etwa die Olympischen Spiele 2021 in Tokio ein Symbol für die nationale Wasserstoffstrategie: Bei der Eröffnungsfeier wurde das olympische Feuer durch Tennisstar Naomi Osaka erstmalig nicht mit Erdgas, sondern mit Wasserstoff entzündet.

 

Hamburg News: Lieber Herr Boltze, das Coronavirus hält die Welt nach wie vor in Atem, wie beurteilen Sie die aktuelle Stimmung in Japan?

Nikolaus Boltze: Als Insel hat Japan schon sehr früh (vor Omikron) seine Grenzen geschlossen und eigentlich nur wegen den Olympischen Spielen im Sommer 2021 wenige Ausnahmen gemacht. Das tägliche Leben geht hier relativ normal weiter – Mit Ausnahme der Reisebeschränkungen gab es nur wenige Einschränkungen, die wirklich scharf umgesetzt wurden. Mit großer Disziplin werden die Maßnahmen befolgt und nur selten öffentlich hinterfragt oder gar kritisiert. Es geht jetzt darum auch die 6. Welle abzuwettern, die sich seit dem Jahreswechsel täglich höher auftürmt.

Hamburg News: Die Regierung hat Ende 2021 ein enormes Hilfsprogramm auf die Beine gestellt, 430 Milliarden Euro, zehn Prozent der Wirtschaftsleistungen. Welche Branchen profitieren besonders davon?

Boltze: Zu den wichtigsten Maßnahmen, die durch das Programm finanziert werden sollen, gehören Geldgeschenke (ca. 750 Euro) an Kinder und Jugendliche, eine Lohnerhöhung für Erzieher*innen und Pflegepersonal sowieso Finanzhilfen für kleinere Unternehmen, die unter der Pandemie leiden. Dringend erwartet wird von der Tourismusbranche die Wiederaufnahme des „Go-To-Travel“ Subventionsprogramms für inländische Ausflüge, um die Bevölkerung zum Reisen im eigenen Land zu animieren (Unterstützung bei Fahrkarten und Übernachtung).

 

Nikolaus Boltze, seit mehr als 14 Jahren HamburgAmbassador

Aber auch der Haushaltsentwurf für 2022 ist mit rund 835 Milliarden Euro seit zehn Jahren in Folge wieder ein neuer Rekordwert. Die Kosten werden durch steigende Ausgaben bei den Sozialleistungen und im Verteidigungsetat in die Höhe getrieben. Premierminister Kishida liegt die nationale Sicherheit am Herzen, angesichts der wachsenden militärischen Dominanz Chinas in der Region und der täglichen Bedrohung durch Nordkorea.

Hamburg News: Gibt es nennenswerte Businessmodelle, die neu durch die Pandemie entstanden sind?

Boltze: Neu wäre zu viel gesagt – aber viele alte Zöpfe sind jetzt doch schneller abgeschnitten worden. Die früher sehr bargeldlastigen Zahlungen im Alltag sind zu einem hohen Grad auf kontaktlos umgestellt worden mit der gesamten Infrastruktur zur sicheren Abwicklung im Hintergrund. Die früher geliebten roten Stempel (anstelle der bei uns üblichen Unterschrift) sind durch digitale Lösungen zum Großteil ersetzt worden. Remote Work ist im Gedankengut angekommen – früher ein Ding der Unmöglichkeit. Jetzt gibt es doch bei vielen Firmen Modelle, die ein flexibles Arbeiten abseits des Büroschreibtisches ermöglichen. Die gebeutelte Hotelindustrie bietet Zimmer jetzt nicht zum Übernachten, sondern tagsüber zum Arbeiten an. Eine schräge Idee realisiert die am Boden stehende Luftfahrtindustrie – Hochzeiten an Bord einer B 777. Das Flugzeug hebt dabei nicht ab, aber die Gäste genießen doch eine ganz besondere Atmosphäre bei der Trauung.

Hamburg News: Die Olympischen Spiele haben 2021 in Japan stattgefunden, dabei wurde das olympische Feuer erstmals mit Wasserstoff entfacht. Ist das mehr als eine kleine Geste? 

Boltze: Ja. Die Nutzung von Wasserstoff in vielen Bereichen steht hier ganz oben auf der Agenda. Japan wird zwar sich nicht zu einem nennenswerten Hersteller von (grünem) Wasserstoff (H2) entwickeln – dazu ist nicht genügend erneuerbare Energie vorhanden bzw. ist diese zu teuer. Aber es werden viele Anwendungen für den Transport, Lagerung und die Nutzung von Wasserstoff gefördert. Das geht von Mobilität über stationäre Brennstoffzellen bis hin zu Forschungsvorhaben für den Betrieb von kleinen Schiffen mit H2.

Hamburg News: Wie steht es um die Akzeptanz der Wasserstoff-Technologie in der Bevölkerung?

Japan setzt auf eine „Hydrogen Society“

Boltze: Schon lange gibt es hier den Begriff der Hydrogen Society – Das heißt, die Nutzung von Wasserstoff als Energieträger ist hier mit positivem Vorzeichen in der öffentlichen Wahrnehmung fest verankert. Wasserstoff wird als Mittler zwischen den erneuerbaren Energien und Energiespeichermöglichkeiten gesehen und gilt als absolut notwendig, um die Klimaziele zu erreichen.

Hamburg News: Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten Japans beim Erreichen der Klimaneutralität bis 2050?

Boltze: Der vorherige Premierminister Suga hat die Klimaneutralität bis 2050 ziemlich überraschend im Herbst 2020 für die Industrie gefordert. Zur Konkretisierung wurde kurz darauf ein Plan verabschiedet, der Maßnahmen in 14 Bereichen und auch Förderung vorsieht. Japan hat die Ressourcen, um in der Forschung da neue und innovative Ansätze zu entwickeln und zu industrialisieren. Deutschland hat in Japan den Ruf als Klimaschutzvorreiter‘ mit vielen grünen Ideen. Augenblicklich sehen wir ein großes Interesse der japanischen Wirtschaft und Politik an Lösungen wie Windenergie, Carbon2Chem-Sektorenkopplung (z. B. Westküste 100 in Schleswig-Holstein) und dem Ausbau intelligenter Netze, die sich in Deutschland schon weiter etabliert haben.

Hamburg News: Unter der Fragestellung Hamburg und Tokio: Städte am Wasser – was kann man von- und miteinander lernen? realisieren Sie ein Projekt im Rahmen des HamburgAmbassador-Programms für japanische Studierende am Zentrum für Deutschland und Europastudien der Universität Tokio. Wie ist der aktuelle Stand dazu?

Boltze: Seit November haben sich 13 Studierende aus verschiedenen Fachbereichen (Medizin, Jura, Politik- und Naturwissenschaften) in vier Teams gefunden. Die Gruppen haben sich selbst Themen zu der übergreifenden Fragestellung gesucht und sind im Augenblick dabei ihre Ergebnisse in Form von Videoclips und einer kurzen Zusammenfassung zu erarbeiten. Der Abgabetermin ist im Februar 2022 und dann gilt es für die Jury, die originellste Präsentation zu küren. Wir planen selbstverständlich alle Beiträge zu veröffentlichen – Seien Sie gespannt. Vor allem drücken Sie mit uns die Daumen, dass für die jungen Leute eine Exkursion nach Hamburg im kommenden Sommer wirklich stattfinden kann.

Hamburg News: Lieber Herr Boltze, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dieses Interview führte Ingrid Meyer-Bosse.

imb/tn/sb

Quellen und weitere Informationen

HamburgAmbassador-Programm

Die zurzeit 31 HamburgAmbassadors aus 24 Ländern üben ein Ehrenamt aus, in das sie vom Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg berufen werden. Die Senatskanzlei, die Handelskammer Hamburg und die an Hamburg Marketing beteiligten Institutionen haben das von Hamburg Marketing koordinierte HamburgAmbassador-Programm ins Leben gerufen, das in seiner Struktur einmalig in Deutschland ist. Die HamburgAmbassadors sind Unterstützer, Netzwerker und Impulsgeber für Politik ebenso wie für Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur im Ausland, mit dem Ziel, Hamburg international zu positionieren.

HamburgAmbassador Nikolaus Boltze

Der ausgewiesene Japan-Experte Nikolaus Boltze wurde bereits 2007 vom damaligen Ersten Bürgermeister Ole vom Beust zum ehrenamtlichen HamburgAmbassador ernannt. Schon als Schüler kam er nach Japan und machte 1983 Abitur an der Deutschen Schule Tokyo. Nach einer Ausbildung zum Offizier studierte Boltze Ingenieurwissenschaften unter anderem in Hamburg und startete als Vertriebsingenieur bei einem japanischen Unternehmen. Für einen Stuttgarter Automobilzulieferer baute er später die Niederlassung in Japan auf. Seit 2005 vertritt er für Thyssenkrupp verschiedene Geschäftsbereiche in Japan – zurzeit als Konzernrepräsentant und Landesvertreter. Boltze verfügt über ein hervorragendes Netzwerk, unter anderem auch durch seine Rolle als ehemaliger Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan, das er für seine vielfältigen Aktivitäten als HamburgAmbassador nutzt.

 

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