„Unsere Drohne verfügt über sechs Propeller, ist 120 km/h schnell, wiegt 12 kg und kann mindestens die gleiche Last tragen“, erläutert der Professor. „Die KI wertet die Flugbahn der gegnerischen Drohne aus, berechnet deren wahrscheinlichste weitere Flugbewegung und bringt sich selbst in die günstigste Position zum Netzabschuss.“ Währenddessen gebe das System kontinuierlich Daten und Bilder an die Bundespolizei ab. Nur sie entscheide über den Abschuss. „Die gefangene Drohne hängt dann unter unserer Drohne, wird zum vorher bestimmten Ablageplatz geflogen und dort sicher in Obhut genommen“, ergänzt Dr. Ing. Ralf Heynicke (HSU), der für die technische Koordination des Projekts verantwortlich ist. Das Abfangen der ‚feindlichen‘ Drohne sei jedoch nur ein Aspekt des Projekts. „Es geht um eine komplette Automatisierungslösung für große Verkehrsflughäfen. Wir haben deshalb ein modulares System entwickelt, das die Kommunikation, KI, Sensorik und eine Lagedarstellung für die jeweiligen Beteiligten umfasst. Die einzelnen Systemkomponenten werden über definierte Schnittstellen zusammengeführt. Je nach Flughafen-Ausstattung können die benötigten Module in das bestehende System zur Luftsicherheit integriert werden.“
Als hätten sie von Spider-Man gelernt. Beim Forschungsprojekt „Falke“ sichern speziell entwickelte Drohnen den Luftraum über Verkehrsflughäfen, indem sie illegal ins Sperrgebiet eingedrungene Fluggeräte ins Visier nehmen und per Netz-Abschuss einfangen. Doch anders als bei Spider-Man steckt hinter der ‚Drohnen-Superkraft‘ kein Gift einer radioaktiven Spinne, sondern ein Technologie-Mix aus Kommunikationssystemen, Sensoren und künstlicher Intelligenz (KI). Das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) mit rund 2,1 Millionen Euro geförderte Projekt – FALKE steht für „Fähigkeit des Abfangens von in gesperrte Lufträume eindringenden Kleinfluggeräten durch zivile Einsatzmittel“ – soll eine umfassende und integrierte Gesamtlösung zum Abfangen von sogenannten UAS (Unmanned Aerial Systems) an Flughäfen bieten, um teure und potentiell gefährliche Störungen im Luftverkehr zu vermeiden.
„Störungen, insbesondere an Knotenpunkten des eng getakteten und vernetzten Flugverkehrs, haben erhebliche weltweite Auswirkungen“, heißt es von Seiten des BMDV. Um nun eine effektive – und rechtsstaatskonforme – Gegenmaßnahmen zu entwickeln, haben sich sieben Projektpartner, darunter die Bundespolizei, die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH oder auch die Hensoldt Avionics und Hensoldt Sensors Gesellschaften, zusammengetan. Verbundkoordinator ist die Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg (HSU). Ein erster Feldversuch Ende September 2021 am Flughafen Hamburg verlief erfolgreich, so Projektkoordinator Gerd Scholl von der Professur für Elektrische Messtechnik an der HSU.
Automatisierungslösung für große Verkehrsflughäfen
Ziel: Flugsicherheit kostengünstiger gestalten
Durch den erfolgreichen Versuch am Flughafen Hamburg wurde nun eine Blaupause geschaffen, die aktuell in einem weiteren Feldversuch in Süddeutschland, auf dem Testgelände der Firma Hensoldt in Ulm-Schwaighofen, erneut getestet und weiterentwickelt wird. Das auf drei Jahre angelegte Projekt läuft noch bis November 2022. „In Süddeutschland prüfen wir nochmals das Zusammenspiel aller Komponenten“, so Heynicke. Durch das Zusammenschalten von Kommunikationssystemen, Infrarot- und HF-Sensoren sowie einem Radar-System, soll zudem die Effektivität weiter gesteigert werden. Die deutsche Flugsicherheit wünscht sich auf Sicht eine Detektionsmöglichkeit von zehn nautischen Meilen, um Gefahren frühzeitig identifizieren zu können und die automatisierte Abwehr in Gang zu setzen.“
Die Automatisierung des Systems sei dabei ein wesentlicher Faktor. Würden anstatt der Technik Menschen einzelne Systemaufgaben übernehmen, wäre das Gesamtsystem von vornherein zu teuer. „Deshalb hat unser System eine kosteneinsparende Abwehr zum Ziel“, erklärt Heynicke.
Eine Gefahr: Explodierende Akkus in Triebwerken
Doch wer genau wird an den Flughäfen eigentlich abgewehrt? Die Drohnen, die von Hobbypiloten verwandt werden, sind normalerweise mit sogenannten Geofencing ausgestattet, also einer Software in der virtuelle Zäune um gesperrte Lufträume verzeichnet sind, so dass die Drohnen vor gesperrtem Gebiet automatisch abdrehen. „Unser Problem sind eher ehrgeizige Flugzeug-Spotter, die spektakuläre Fotos aus möglichst großer Nähe schießen wollen“, erzählt Scholl.
„Ab und an haben wir es auch mit ganz jungen Drohnenbesitzern zu tun: also mit Kindern, deren Drohnen sich selbständig gemacht haben. Und zunehmend kommen Aktivisten ins Spiel, die mit einer Drohne im Sperrgebiet den Flughafen lahmlegen wollen.“ Die tatsächliche Gefahr, die von solchen Drohnen ausgeht, sei durchaus erheblich, betonen die Experten. Immerhin unterhalte der Flughafen Hamburg eine eigene Falknerei, um die Gefahr von Vogelschlag zu minimieren. „Die glasfaserverstärkten Kunststoffe, aus denen moderne Drohnen heute bestehen, sind deutlich robuster als Vogelknochen“, weiß Heynicke. Zudem können die Akkus der Drohnen in den Triebwerken explodieren.
Dazu kommt, die Zahl von Drohnen nimmt weiter zu. In Deutschland sind insgesamt mehr als 400.000 Drohnen im Umlauf, so eine Analyse des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V. (BDL). Der größte Teil davon, 385.500 Drohnen, wird privat genutzt. Und der BDL ist überzeugt: Die Zahl der Drohnen in Deutschland wird sich bis 2025 auf rund 450.000 erhöhen. Doch die ‚Falken‘ könnten auch anderweitig zum Einsatz kommen, so Scholl: „Beispielsweise zum Schutz einer Industrieanlage oder einer großen Hotelanlage.“
ys/kk