Hamburg News: Generative KI wird einerseits als bahnbrechend und andererseits als Hype diskutiert. Wo positionierst du die Technologie in diesem Spannungsfeld?
Dirk Ploss: Beide Perspektiven haben durchaus ihre Berechtigung. Auf der einen Seite ist sie tatsächlich eine der größten Transformationsmaschinen seit Jahrzehnten. Die potenziellen Produktivitäts- und Effiziensteigerungen sind enorm. Auf der anderen Seite wird KI jedoch auch oft einfach als verkaufsförderndes Label missbraucht, von sogenannten Wrapper-Apps (Apps, die KI-Modelle wie Chat GPT, Dall-e & Co. für spezifische Anwendungsfälle bereitstellen, Anm. d. Red.) einmal ganz abgesehen. Dass allein im ersten Halbjahr 2023 mehr als 6.000 neue KI-Tools auf den Markt geschwemmt wurden, ist hier durchaus bezeichnend.
Hamburg News: Vor welchen Herausforderungen steht die Arbeitswelt in diesem Zusammenhang?
Ploss: Verlässlichkeit, Ethik und die sinnvolle Nutzung der eingesparten Zeit. Verlässlichkeit betrifft die Frage, wie stark KI halluziniert, ob sie echte Quellen angibt oder diese erfindet und wie groß der trainingsdatenbedingte Bias ist. Ethik umfasst Aspekte wie Diversity, den Umgang mit personenbezogenen Daten und die Haftung von Plattformen. Und Produktivitätsgewinne sollten nicht primär zur Reduzierung von Arbeitsplätzen genutzt werden, sondern dazu, Arbeit menschlicher und sinnstiftender zu gestalten.
Hamburg News: Du sagtest einmal: „Ich sehe ein Risiko darin, kein Risiko einzugehen.“ Gilt das auch für den Umgang mit KI und welche Risiken siehst du hier?
Ploss: Ja, auf jeden Fall. Jede neue Technologie bietet gleichzeitig Chancen und Risiken. Nur weil Chat GPT am Anfang stark halluziniert hat, sollte ich die Technologie keinesfalls mit ‚funktioniert ja nicht‘ beiseiteschieben. Ganz im Gegenteil, das Risiko, den Anschluss zu verlieren, von seinen Shareholdern abgestraft zu werden und die besten Köpfe zu verlieren, ist deutlich größer, als etwas Zeit und Geld durch nicht voll ausgereifte KI-Ergebnisse zu verlieren. Ich kann nur dafür plädieren, sich der Risiken bewusst zu sein – der technologischen, kommunikativen, rechtlichen und finanziellen Risiken vor allem.
Hamburg News: Seit wann nutzt Beiersdorf KI und welche Ziele verfolgt ihr dabei?
Ploss: Bei Beiersdorf arbeiten wir schon sehr lange mit KI-Modellen und KI-Anwendungen, beispielsweise in der Analytik, Formelentwicklung und Toxikologie. Schon 2019 haben wir einen intelligenten Chatbot auf den Markt gebracht, eine interne Instanz von Chat GPT hatten wir nach nicht einmal einem Jahr nach der Veröffentlichung durch Open AI. Übergeordnetes Ziel dabei ist es, vorhandene Stärken unserer Mitarbeitenden zu amplifizieren. KI ist für uns nicht nur ein Beschleuniger, sondern vor allem auch ein Verbesserer.
Felina Wellner: Ändert sich deine Rolle als Innovationsmanager durch künstliche Intelligenz?
Ploss: Ja, ziemlich stark sogar. Mein Team und ich übernehmen mehr und mehr Lotsenfunktionen, weil sich die Fachbereiche nicht den lieben langen Tag mit jeder neuen KI beschäftigen können. Wir schauen uns um, wir probieren aus, wir prüfen auf potenzielle Chancen und Risiken, wir empfehlen. Zusätzlich verändert sich auch das klassische Innovationsmanagement gerade durch künstliche Intelligenz massiv. Ideenfindung, Ideenbewertung, Recherche, Ideenanreicherung, Prozessoptimierung, Formelentwicklung, Kommunikation … All das und noch mehr muss neu gedacht werden.