Glücklicherweise hat Hamburg schon lange vor Corona angefangen, auf dieses „Andere“ hinzuarbeiten. „Die Themen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Urban Air Mobility wurden am Standort schon vor einiger Zeit als relevante Zukunftsfelder identifiziert und sind inzwischen auf einem guten Weg“, erklärt Grosser. So hat etwa Airbus im September drei Konzepte für das weltweit erste emissionsfreie Verkehrsflugzeug vorgestellt, das 2035 in Dienst gestellt werden könnte. Die unter dem Codenamen „ZEROe“ präsentierten Designentwürfe setzen alle auf grünen Wasserstoff als Antrieb. Das Turbofan-Design zielt mit einer Reichweite von über 3.700 Kilometern auf Mittelstreckenflüge, während beim Turboprop-Design die optimale Reichweite bei gut 1.850 Kilometern liegt und damit für Kurzstreckenflüge geeignet ist.
Die Pandemie hat die Luftfahrt-Branche hart getroffen. Das gilt auch für Hamburg. Wie geht es weiter für einen der größten Luftfahrtstandorte der Welt? „Die langfristigen Auswirkungen sind noch nicht absehbar. Tatsache ist, große Luftfahrtunternehmen wie Airbus, Lufthansa und Lufthansa-Technik haben auf Grund der gesunkenen Nachfrage einen Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt und ein Großteil der Mitarbeiter befindet sich aktuell in Kurzarbeit. Bei den Zulieferern der Branche dürfte die Situation ganz ähnlich aussehen“, sagt Julia Grosser vom Cluster Hamburg Aviation. Damit vollzieht sich in der Branche ein massiver Turnaround: Vor der Pandemie sorgte der Fachkräftemangel für große Anstrengungen seitens der Unternehmen, den Nachwuchs für sich zu gewinnen – zumal der demografische Wandel droht: Eine ganze Generation wird in absehbarer Zeit in Rente gehen. „Diese Herausforderung bleibt bestehen und wir hoffen, dass unsere Mitglieder trotz der Krise perspektivisch denken“, so Grosser, die durchaus überzeugt ist, dass sich die Nachfrage-Situation schließlich erholen wird. Aber sie betont auch: „Wir erwarten ein „New Normal“. Die Luftfahrtbranche wird nach der Pandemie eine andere sein.“
Urban Air Mobility – ein Zukunftsthema
Einsatz von Wasserstoff
Der futuristischste Entwurf ist das „Blended-wing body“-Design. Hier gehen Tragflächen und der Rumpf ineinander über – auch Nurflügler genannt. Airbus-CEO Guillaume Faury bezeichnete die Entwicklung hin zu sauberen Antriebsarten als extrem wichtig für die Zukunft der Luftfahrt. „Ich bin fest davon überzeugt, dass der Einsatz von Wasserstoff – als Bestandteil synthetischer Treibstoffe wie auch als Hauptenergiequelle für Verkehrsflugzeuge – das Potenzial hat, die Klimaauswirkungen des Luftverkehrs deutlich zu reduzieren.“
Clean Aviation-Strategy
Tatsächlich dürfte der Wettbewerb um einen möglichst emissionsfreien Luftverkehr die Branche in den kommenden Jahrzehnten prägen, sind Grosser und ihre Kollegen von Hamburg Aviation überzeugt. In Zukunft werde es nicht mehr um schneller, höher und billiger gehen, sondern um grüner. So sieht etwa die Clean Aviation-Strategie der Europäischen Union vor, die globalen CO2-Emissionen bis 2050 um 90% zu reduzieren. Dabei sollen 50% über Technologie und Design und 50% über alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff eingespart werden. „Das Luftfahrtcluster Hamburg möchte bei der Gestaltung des EU-Forschungsprogramms Clean Aviation eine aktive Rolle spielen und hat dazu im Sommer ein Strategiedokument erarbeitet, in dem die Beteiligungsmöglichkeiten Hamburgs konkret aufgezeigt werden: Die Green Aviation Technology Roadmap“, so Grosser. Die wesentliche Handlungsempfehlung des Papiers ist es, Hamburg und Norddeutschland zum führenden Kompetenzzentrum für wasserstoffbasierten Luftverkehr aufzubauen.
Weiteres Zukunftsfeld: Drohnentechnologie
An grünem Wasserstoff, als sauberer Energiequelle für die Luftfahrt, wird in Hamburg bereits im Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) gearbeitet – etwa auch im Zusammenhang mit einem weiteren vielversprechenden Zukunftsfeld: Der Drohnentechnologie. So forscht das Cabin & Systems-Team der ZAL GmbH am ZALbatros, einer wasserstoffbetriebenen Drohne. Bei einem Testflug brachte es der Hexakopter jüngst auf eine Gesamtflugzeit von zwei Stunden und zehn Minuten, während herkömmliche, batteriebetriebene Drohnen oft bereits nach einer guten halben Stunde landen müssen. Die im ZALbatros genutzten Brennstoffzellen mit Druckspeicher besitzen im Vergleich zu konventionellen Akkus eine deutlich höhere Energiedichte. So kann die erforderliche Energiemenge mitgeführt werden, ohne dass die Drohne zu schwer wird.
ITS Weltkongress
Drohnen werden auch beim 2021 in Hamburg stattfindenden Weltkongress ITS im Fokus stehen. Hamburg ist offizielle Modellregion für die Erschließung ziviler Nutzungsmöglichkeiten von Drohnen- und anderen urbanen Luftverkehrstechnologien. Das Netzwerk Windrove, gegründet 2017 im ZAL und seit 2019 durch Hamburg Aviation koordiniert, fördert die wirtschaftliche Nutzung von Drohnen in der Hamburger Metropolregion. „Wir werden auf dem ITS mit einem eigenen Stand zu Windrove vor Ort sein und als ein Anker-Projekt Medifly Hamburg präsentieren“, erklärt Grosser. Medifly ist ein vom BMVI gefördertes Forschungsprojekt, dass die Integration von unbemannten Luftfahrzeugen in den urbanen Luftraum zum Ziel hat. In einer mehrmonatigen Testphase sollen 2021 medizinische Güter durch das Hamburger Stadtgebiet transportiert und die Grundlage für einen Regelbetrieb geschaffen werden.
Chancen nutzen
So ist die Pandemie keineswegs das allein beherrschende Thema im Luftfahrtcluster der Metropolregion Hamburg. Und wenn doch, handelt es nicht ausschließlich um Negativ-Meldungen. Vielmehr konnte Hamburg Aviation im August vermelden: Anlässlich der COVID19-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf den globalen Luftverkehr wird der Crystal Cabin Award, die weltweit führende Auszeichnung für Innovationen im Bereich Flugzeugkabinen und Bordprodukte, 2021 in zwei Sonderkategorien verliehen: „Clean & Safe Air Travel“ sowie der „Judges‘ Choice Award“. Die Sieger werden parallel zur Messe Aircraft Interiors Expo im April 2021 in Hamburg verkündet – wenn alles gut läuft in einer feierlichen Präsenz-Veranstaltung.
ys/kk
Quellen und weitere Informationen
Luftfahrtstandort Hamburg
Hamburg Aviation ist das Luftfahrtcluster der Metropolregion Hamburg. Der Verbund aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik hat sich zum Ziel gesetzt, alle Akteure der Branche zu vernetzen, die Fachkräfteentwicklung zu unterstützten, den Wissenstransfer auszubauen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Es geht aber auch darum, konkrete Lücken in Prozessketten zu identifizieren und auszufüllen, Innovationen zu generieren und neue Kompetenzfelder zu erschließen.
Mit ihren Kompetenzen decken sie den gesamten Lebenszyklus eines Flugzeuges ab: von der Entwicklung, Herstellung und Montage über das Lufttransportsystem, die Wartung, Reparatur und Überholung bis hin zum Recycling. Damit ist Hamburg weltweit der drittgrößte Standort der zivilen Luftfahrtindustrie.
Neben den beiden Branchenriesen Airbus und Lufthansa Technik sowie dem Flughafen Hamburg tragen über 300 kleine und mittelständische Unternehmen sowie vielfältige technologisch-wissenschaftliche Institutionen zum Know-how bei.