Digitalisierung

„Agilität nicht um jeden Preis“

31. Juli 2019
Uli Hegge sieht in Disruption weniger etwas Zerstörendes, als vielmehr eine echte Chance zur Veränderung. Drei Tipps vom Digital-Experten

„Disrupt Yourself“ fordert der Autor Christoph Keese in seinem jüngsten Buch. Und wie das gehen könnte, versuchte Mitte April etwa das Disrupt Yourself Camp der ZEIT-Stiftung zu erkunden. Uli Hegge nun unterstützt Unternehmen dabei, einen erfolgreichen digitalen Kurs einzuschlagen, allerdings nicht als klassischer Berater, sondern in der Rolle eines externen ´Disruptors` als Aufsichts- und Beiratsmitglied sowohl in Startups wie „klassischen“ Unternehmen. Dabei versteht der 52-Jährige unter Disruption weniger Zerstörung als vielmehr die Chance zu echter Veränderung. Zu den von ihm ‘veränderten’ Unternehmen gehören etwa Comdirect, G+J oder die US-amerikanische Werbetechnologie-Plattform Appnexus. Als Online-Experte der ersten Stunde – Hegge blickt auf 30 Jahre Digitalerfahrung und zahlreiche Gründungen zurück – hat er drei wesentliche Turnaround-Ansätze identifiziert.

1. Eine vermeintliche in eine echte Kundenorientierung umwandeln:

„Jedes Produkt, jede Dienstleistung, erhält in unserer digitalen Welt ein brutal direktes und schnelles Feedback – von den Nutzungsdaten bis manchmal hin zum Shitstorm“, weiß Hegge. Der Vorteil: Das Unternehmen erhalte einen unmittelbaren Eindruck davon, was in den Köpfen seiner Kunden vorgeht. Allerdings müssten viele Unternehmen erst noch lernen mit dem digitalen Echo umzugehen. „Viele empfinden diese Unmittelbarkeit als Bedrohung. Dabei ist sie ein ungemein nützliches Tool, das es Unternehmen erlaubt zu reagieren, bevor der Kunde sich umorientiert.“

Auch Produktneuheiten könnten passgenauer entwickelt werden. Blieben bisher trotz Marktanalyse viele Unsicherheiten, ob ein Produkt am Markt ankommt, erlauben heutige Feedback-Schleifen eine wesentlich exaktere Analyse der Kundenbedürfnisse. Doch besteht angesichts des vielfältigen Kundenfeedbacks nicht die Gefahr des Verzettelns? „Natürlich“, räumt Hegge ein. „Darum ist es so wichtig, sich als Unternehmen darüber klar zu sein: Wofür steht mein Unternehmen, was ist mein wesentlicher Kundennutzen? Wo sehe ich meine Marktposition und was sind meine Strategien? Wer sich also wirklich kennt, kann relevante von irrelevanter Kritik unterscheiden.“

2. Ein unverzichtbares Produkt schaffen

„Auf Basis einer echten Kundenorientierung kann ich nun daran gehen, ein Produkt oder eine Dienstleistung anzubieten, die aus dem Alltag meiner Kunden schlicht nicht mehr wegzudenken ist.“ Als allgegenwärtiges Beispiel nennt Hegge die Suchmaschine Google, die längst Einzug in das private wie berufliche Leben gehalten hat. „Wichtig ist, bei der Entwicklung neuer Produkte eine neue Denkrichtung einzunehmen“, erklärt Hegge. Statt einer rein produktzentrierten sei eine zukunftsorientierte Vorstellungskraft entscheidend. „Also zum Beispiel: Wie sieht Autofahren oder wie sieht Fliegen im Jahr 2025 aus? Wo steht mein Unternehmen mit seinem Angebot dann? Und welches meiner Produkte, welche meiner Dienstleistungen, macht dann Fahren oder Fliegen zu einem besonderen Erlebnis?“

3. Die richtige Umsetzungsstrategie

Ist die Strategie klar und der Lösungsansatz identifiziert, geht es an die Umsetzung. Wer den Weg ins Digitale sucht, greift nun gern auf agile Methoden, wie Scrum, Working Out Loud oder Design Thinking zurück. „Doch es geht nicht um Agilität um jeden Preis“, warnt Hegge. „Wenn beispielsweise ein Softwareprojekt mit einer klaren Zielvorgabe realisiert werden soll, ist ein formalisierter Prozess vielleicht der effektivere Ansatz.“ Und wieder sei entscheidend, zu wissen, was warum und mit welcher Zielsetzung geschehe. Der digitale Wandel mag sich mit einer rasanten Geschwindigkeit vollziehen. „Für die beteiligten Unternehmen bedeutet es jedoch immer zunächst Innehalten und Selbstreflektion – und dann folgt die entschlossene Umsetzung.“
ys/kk

Quelle und weitere Informationen:
Uli Hegge, Kontakt über www.xing.com/Ulrich_Hegge

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