Wirtschaftsstandort

So lässt sich die Barriere zwischen Hamburger City und HafenCity ‚unterlaufen‘

23. April 2024
Hamburger Architekt will durch die Aktivierung der Wasserwege das Zusammenwachsen der alten City und der neuen HafenCity vorantreiben. Ein Walk mit den Hamburg News

Wenn Marc Ewers aus seinem Bürofenster im Nikolai Quartier sieht, schaut er direkt auf die Trostbrücke, die über das Nikolaifleet führt. Im 12. Jahrhundert lag hier Hamburgs erster Hafen und damit die Keimzelle der Handels- und Hansestadt Hamburg. Die Mönckebergstraße in der City, eine der Haupteinkaufsstraßen der Stadt, liegt rund 600 Meter nördlich. Gut anderthalb Kilometer südlich entsteht eines der größten Shoppingcenter Norddeutschlands in der HafenCity. Genauer gesagt im neuen Westfield Hamburg-Überseequartier, dessen Eröffnung wegen eines Wasserschadens auf Ende August verschoben werden musste. Um zu verhindern, dass die etablierten Innenstadt-Einkaufslagen angesichts des neuen, attraktiven Angebots auf rund 80.500 qm Ladenfläche ‚abgehängt‘ werden, sind attraktive Verbindungen gefragt. Ein „Runder Tisch Innenstadt“ nahm im November 2023 bereits die Domachse als zentrale Wegeverbindung zwischen der Innenstadt und der HafenCity in den Fokus.

Willy-Brandt-Straße einfach unterqueren

Ewers, Gründer des Architekturbüros Euroterra, setzt dagegen auf Wasser als verbindendes Element, um das Zusammenwachsen der beiden Stadtteile voranzutreiben. „Hamburgs Fleete waren einst Bestandteil des Hafens, sie dienten dem Warenumschlag von und zu den Kontor- und Lagerhäusern. Heute könnten sie zur Belebung des historischen Altstadtkerns beitragen und damit ein Stück weit erneut zum Wirtschaftsfaktor werden.“ Ewers Vision: Auf und am Nikolaifleet entlang eine attraktive Anbindung zum Weltkulturerbe Speicherstadt schaffen. Von da aus bis zum Überseequartier ist es auch nur noch ein ‚Katzensprung‘ von 600 Metern. Der Clou: Die sechsspurige Willy-Brandt-Straße, die als reale und psychologische Barriere das Zusammenwachsen von Innenstadt, Speicherstadt und HafenCity erschwert, ist auf dem Wasserweg kein Hindernis. „Wir wandern einfach darunter hindurch“, so Ewers. Wie das konkret aussehen könnte, erläutert der freischaffende Architekt bei einem Walk mit den Hamburg News.

Start des Walks mit Marc Ewers auf der Trostbrücke

Ponton verankern und Gastronomie ansiedeln

Wir starten an der Trostbrücke, eine der ältesten Brücken Hamburgs, geschmückt mit den Statuen des heiligen Ansgar – er stand für die bischöfliche Altstadt – und des Grafen Adolf III. von Schauenburg, der für die prosperierende Neustadt mit dem Hafen als Handelszentrum steht. Damit ist der Ausgangspunkt für Ewers Idee, einen Brückenschlag vom Alten ins Neue zu schaffen, schon mal gut gewählt. „Hamburgs historische Altstadt ist ein Pfund, mit dem wir viel mehr wuchern sollten. Und Hamburgs Altstadt ist durchzogen von Wasserstraßen, die mehr oder weniger brachliegen. Hier könnten wir sofort anfangen, das zu ändern“, erklärt Ewers und zeigt auf die Steinstufen, die auf beiden Seiten des Fleets hinab zum Wasser führen. „Auf der einen Seite ließe sich ein Ponton verankern und Gastronomie ansiedeln, um gemütlich ein Glas Wein in der Abendsonne zu genießen. Es könnten Veranstaltungen, wie Lesungen oder Konzerte, stattfinden oder die Pontons können mit Paddelbooten angesteuert werden.“ Weitergedacht könnten gar elektrisch betriebene Ewer – früher versorgten Gemüse-Ewer die Stadt mit frischen Waren aus den Vierlanden – Hamburger:innen und Tourist:innen zum neuen Deutschen Hafenmuseum bringen, das auf dem Kleinen Grasbrook geplant ist. „Das Besondere: Hier unten spüren wir das spannende Spiel der Tide, den lebendigen Fluss der Alster unter dem Einfluss von Elbe und Nordsee“, betont der Architekt.

Mögliche Wegeverbindungen von der City in die HafenCity

‚Weg auf dem Fleet‘: eine Wegeverbindung für alle Sinne

Von der gegenüberliegenden Seite könnte der ‚Weg auf dem Fleet‘ starten, fährt er fort. „Dazu wäre ein etwa 3 bis 4 Meter breiter Steg nötig. Wie der Ponton würde sich auch der Wassersteg mit der Tide heben und senken – Wobei sich der Tidenhub regulieren ließe, wenn gewünscht. Die dazu nötigen Schleusen sind vorhanden.“ Das würde einerseits den Weg unterhalb der Brücken permanent sicherstellen – was bei einem zu hohen Wasserstand im Fleet nicht gewährleistet ist – und zum anderen verhindern, dass die Fleete komplett leerlaufen, was wiederum eine Versicherung gegen unliebsame Gerüche wäre. „Im Sommer, wenn die Sonne den Schlick trocknet, kann ein leicht muffiger Geruch entstehen“, so Ewers. Doch auch der sei nicht wirklich störend, findet er. „Wattwandernde an der Nordsee stören sich auch nicht daran.“ Zudem passe die ‚Meeresnote‘ zu der Wegeverbindung für alle Sinne, die dem 53-Jährigen vorschwebt: Der Tidenhub und der Geruch des Wassers, in Kombination mit dem 47-stimmigen Glockenspiel, das vom kaum 200 Meter entfernten St.- Nikolai-Turm herüberklingt sowie der Blick auf die Wasserseite der Kontorhäuser machen den Weg zu einem echt hanseatischen Erlebnis. „Vom Wasser aus sieht man die Fachwerkfassaden der alten Kontorhäuser. Zur Straße hin wurden die Gebäude dagegen überwiegend verputzt.“ Und dann könnte so mancher ‚Fleetenkieker‘ auch wieder vor Ort schauen, was es im Schlick zu entdecken gibt.

Idee: Auf einem Wassersteg unter der Willy-Brandt-Straße hindurchwandern

Aussichtspunkt Nikolaifleet revitalisieren

Der Weg unter der Willy-Brandt-Straße hindurch führt hinein ins Katharinenquartier. Hier bieten sich nun verschiedene Möglichkeiten für die weiteren Ziele. Entweder der direkte (Land-)Weg hinüber zum Überseequartier: An der St. Katharinenkirche vorbei über die Jungfernbrücke und den Übersee-Boulevard entlang zum neuen Quartier. Ein Weg von 850 Metern oder 12 Minuten laut Google Maps. Oder aber dem Nikolaifleet weiter nach rechts folgen. Hier hat das Theaterschiff, laut Aussage der Betreibenden Europas einzige hochseetüchtige Bühne, seinen Anleger. Der ließe sich somit gut in die Stegverbindung integrieren. Kaum 50 Meter weiter, unter der Holzbrücke hindurch, liegt der Aussichtspunkt Nikolaifleet: Ein Treppenabsatz, der hinunter zum Wasser führt und den Blick freigibt auf die historische Häuserzeile der Deichstraße mit der Elphi im Hintergrund. Zahlreiche Zigarettenkippen und Kronkorken zeugen von reger Nutzung und das obwohl von ‚Aufenthaltsqualität‘ keine Rede sein kann – das Unkraut sprießt, ein paar Meter weiter wächst sogar ein Baum aus dem Mauerwerk. „Stellen Sie sich diesen Ort nun gepflegt und mit Gastronomie revitalisiert vor. Hier liegt ganz viel Potenzial brach“, findet Ewers.

Letzter Wasserwegabschnitt mit Deichstraße und Elbphilharmonie im Hintergrund

Mittlerer sechsstelliger Betrag nötig

Das letzte Stück des Wasserweges würde jetzt hinüber zum Anlieger Deichstraße führen. „Der Wassersteg wäre hier sogar relativ leicht zu bauen, dank der vorhandenen Dalben (Verankerungspfähle für Schiffe, Anmerkung der Redaktion).“ Einen mittleren sechsstelligen Betrag würde der Abschnitt zwischen Theaterschiff und wasserseitiger Deichstraße nach Ewers Schätzung wohl in etwa kosten. „Ein genauerer Betrag müsste durch eine Machbarkeitsstudie ermittelt werden.“ Doch das Investment lohnt sich, ist der selbständige Unternehmer überzeugt. „Die Aktivierung der Wasserwege würde zu einer auch wirtschaftlichen Belebung der Altstadt führen und die weitere Ansiedelung von Gastronomie und kleinen, individuellen Läden erleichtern.“ Abgerundet wird Ewers Wasserwegkonzept durch die Anbringung von QR-Codes auf Tafeln mit Texten und Bildern zur Geschichte des Ortes. „Denkbar wäre auch das Projizieren von historischen Bildern an Brückenwände oder Fassaden als Event, um noch intensiver in die Geschichte der Stadt eintauchen zu können. Damit ließe sich geballte Altstadt inszenieren.“
ys/sb

Quellen und weitere Informationen

Euroterra

Marc Ewers ist studierter Bauingenieur und freischaffender Architekt. 1999 gründete er Euroterra und realisiert mit seinem 20-köpfigen Team seither vor allem Gesundheits- und Industriebauten, wie etwa das Hospiz am Israelitischen Krankenhaus, die OP-Erweiterung für das Altonaer Krankenhaus, den Neubau der Psychiatrie am Ev. Krankenhaus Alsterdorf oder Lackierhallen für die Airbus Luftwerft in Hamburg-Finkenwerder.

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