Der Saal in den Elbarkaden ist bis auf wenige Plätze restlos gefüllt, erwartungsvolle Gesichter blicken auf die Bühne. Dies ist fast eine kleine Sensation, denn die Konkurrenz ist groß. Nur wenige Meter entfernt findet die After Show Party der NWX18 statt. Gleich zu Beginn der Abendveranstaltung eröffnet Prof. Dr. Bergmann: “Die große Automatisierung liegt noch vor uns!” Als Beispiel hierfür führt er elektrische und autonom fahrende Autos, aber auch Berufe, die durch die fortschreitende Automatisierung bald nicht mehr zur Verfügung stehen werden, an. “Viele Menschen haben Angst, wegautomatisiert zu werden. Neue Arbeit ist ein Rezept dafür, wie man dem großen Bogen der Automatisierung begegnen kann. Neue Arbeit gibt uns Hoffnung”, zeigt sich der amerikanische Philosoph jedoch optimistisch.
Zur “New Work Experience” (NWX18), ausgerichtet vom Hamburger Karrierenetzwerk Xing, waren rund 1.500 Teilnehmer gekommen, mehr als 80 Speaker widmeten sich Technologie-Trends, Themen zur Unternehmenskultur und -organisation sowie innovativen Leadership-Konzepten. Auf diesem Event vergangene Woche am Dienstag durfte eine Persönlichkeit ganz sicher nicht fehlen: Prof. Dr. Frithjof Bergmann, der als Vater der New Work-Bewegung gilt. Im Interview mit Dr. Max Neufeind, Arbeitspsychologe und Referent des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, sprach der 87-jährige Philosoph über sein Manifest für eine andere, neue Arbeitswelt.
Prof. Dr. Frithjof Bergmann (*1930, in Sachsen) wanderte als 19-Jähriger nach Amerika aus, schlug sich dort zunächst mit Gelegenheitsjobs durch und studierte Philosophie, promovierte und lehrte an der University of Michigan. Anfang der 1980er Jahre forschte Prof. Dr. Bergmann über das klassische Lohnarbeitssystem und entwickelte ein Alternativmodell, das er “Neue Arbeit” nannte. 1984 gründete er in der krisengeschüttelten Automobilstadt Flint (Michigan) ein erfolgreiches “Zentrum für Neue Arbeit”. Heute teilt er seine Vision einer humaneren und lebenswerteren Zukunft als weltweit gefragter Referent und Berater.
Die große Automatisierung steht noch bevor
Der Mensch im Mittelpunkt
Dabei rückt Prof. Dr. Bergmann den Menschen in den Fokus und definiert sein Verständnis von New Work “als Arbeit, die ein Mensch wirklich, wirklich will”. “Authentisch wird es, wenn man Menschen ernst nimmt. Und herausfindet, was diese wirklich wollen”. Doch trotz aller neugewonnen Freiheiten ist er überzeugt, dass New Work nicht nur Spaß sei. Denn Spaß sei nicht genug, man könne viel mehr erreichen und sich selbst entdecken.
Forderung nach weltweiten Zentren für Neue Arbeit
Prof. Dr. Bergmanns Forderung nach weltweiten “Zentren für Neue Arbeit” zieht sich wie ein roter Faden durch den inspirierenden Abend. Solch eine Institution gründete er 1984 in der krisengeschüttelten Stadt Flint, in Michigan. Durch eine große Automatisierungswelle bei General Motors drohten Massenentlassungen. Der Begründer des New Work-Begriffs schlug vor, dass die gesamte Belegschaft nicht entlassen, sondern für die Hälfte des Jahres bezahlt freigestellt wurde. In dieser Zeit sollten die Arbeiter mithilfe des von ihm neugegründeten “Zentrums der Arbeit” herausfinden, was sie wirklich, wirklich wollen. Dies geschah mithilfe von ausgebildetem Personal. Dabei spricht der Philosoph – damals wie heute – von einer “Armut der Begierde”, aus der es die Menschen zu befreien gilt. Sie sollen mit Klarheit und Deutlichkeit erkennen, was sie “wirklich, wirklich wollen”. Im nächsten Schritt soll diese Erkenntnis in Arbeit verwandelt werden.
Auch bei dem aufmerksamen Publikum zeigt sich nach und nach, wer sich an diesem Abend wirklich, wirklich inspirieren lässt. Auf eine Frage aus dem Publikum, ob diese New Work-Begriff nicht egoistisch sei, antwortet der 87-jährige Philosoph: “New Work fragt nicht nur danach, was der Einzelne will, sondern auch: Was kann jeder Einzelne verbessern?”
sb