„Die zurzeit im Bewerbungsverfahren eingesetzten Online-Tests sind nützlich, aber begrenzt in ihrer Aussagekraft“, sagt Scheffer. Das liege vor allem daran, dass Menschen mit ihrer Selbsteinschätzungkeineswegs immer richtig liegen und sich aus unterschiedlichen Gründen für einen Beruf entscheiden, der eigentlich gar nicht zu ihnen passt. Vielfach wird ihnen erst im Laufe ihres Berufslebens klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Manche orientieren sich um, manche können nie ihr volles Potentialentfalten. „Wenn wir jedoch in der Lage sind, mit einem KI-Tool die unbewusste Ebene bei Bewerbern anzusprechen, kommen wir zu viel genaueren Ergebnissen – mit all den Chancen und Risiken, die damit verbunden sind“, erklärt der Professor.
„Wir stehen noch ganz am Anfang. Was wir aktuell sehen, sind erste Versuche, künstliche Intelligenz bei der Personalbeschaffung einzusetzen. Doch wenn sie gelingen, kann dies das gesamte Personalmanagement revolutionieren“, ist Professor David Scheffer überzeugt. Der Diplompsychologe ist Professor an der Nordakademie und leitet dort das CAPTA Institut (Computer Aided Psychometric Text Analysis), an dem er mit mehreren Doktoranden die Möglichkeiten von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz für die optimierte Personalauswahl und Kommunikation erforscht.
Analyse des Unbewussten
Totale Transparenz
Allen bewussten Äußerungen liege nämlich eine unbewusste Ebene zu Grunde und die manifestiert sich in Syntax, Sprachstil, Sprechgeschwindigkeit und Sprechpausen, erklärt der Psychologe. „Was und wie wir etwas sagen, sagt viel darüber aus, was wir am Ende tatsächlich tun werden. Und KI analysiert eben nicht nur was wir sagen, sondern wie wir es sagen.“ Damit jedoch werde KI zum zweischneidigen Schwert, denn ein Bewerber wird durch die Analyse nicht nur an seinen Kompetenzen gemessen, sondern die Daten geben auch Auskunft über Aspekte, die den Arbeitgeber schlicht nichts angehen – bis hin zu einer möglichen Tendenz zu Depressionen. „Wir brauchen also unbedingt eine Regulierung, basierend auf ethischen und rechtlichen Grundlagen“, sagt Scheffer.
Wenn KI zum Gatekeeper wird
Andererseits erlaubt die KI-Analyse ein wesentlich passgenaueres Zusammenführen von Bewerber und Beruf. „Genau die richtige berufliche Position zu finden, führt zu deutlich glücklicheren und intrinsisch motivierten Mitarbeitern – vom Unternehmenserfolg gar nicht zu reden“, so Scheffer. Die Voraussetzung für eine treffende KI-Analyse ist jedoch eine sorgfältig und repräsentativ ausgewählte Datenbasis. Sonst kann KI zu einem unerwünschten Gatekeeper werden, wie etwa Kenza Ait Si Abbou Lyadini beim diesjährigen TEDxHamburg berichtete.
Trotz erstklassiger Ausbildung wurde sie als Frau mit dunkler Hautfarbe als „nicht erfolgversprechend“ eingestuft. Und das nicht etwa aus rassistischen Gründen, sondern schlicht, weil das Training der Algorithmen vor allem weiße Männer-Beispiele enthalten hatte… „Bei guter Datenlage kann jedoch eine sehr genaue Einschätzung des Bewerbers erfolgen“, so Scheffer. Und speziell für Deutschland, das bereits die Datenschutz-Grundverordnung auf den Weg gebracht hat, sieht der Professor auch gute Chancen, die Risiken des KI-Einsatzes zu begrenzen.
ys/kk
Quellen und weitere Informationen
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Teil 3: Kollege Roboter – bald schon beliebtes Teammitglied?
Teil 4: Künstliche Intelligenz: Der mit dem Auto spricht
Teil 5: Humanoide Robotik: Schritt für Schritt zur Normalität
Teil 6: Wann erobern Roboterautos Hamburgs Straßen?
Teil 7: Keine Angst vor Künstlicher Intelligenz
Teil 8: Kräfte bündeln: AI Hub für Hamburg
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